Hitwunder

Wir waren und sind ja ernsthaft bemüht, das Phänomen Taylor Swift besser zu verstehen. Immerhin scheint sie ja derzeit die wichtigste Figur in der populären Musik zu sein, was sich im amerikanischen Musikbus fast immer in den Kategorien Verkauf, Geld und Wirkung auf die Medienkultur bemisst. Gerne wird so etwas mit von den festlich gekleideten Musiker freudig begrüßten Preisen ausgezeichnet.

Wir haben diesmal zum Verstehen des Taylor Swift-Phänoments erst mal relativ ernst zu nehmende und akademisch geadelte Leute aus dem Bildungsbürgertum zu Rate gezogen. Sie machen sich, unter anderem mit Publikationen, mehr oder weniger wissenschaftliche Gedanken zum Thema. An dieser Stelle versuchen wir nur das wiederzugeben, was von ihnen bei uns angekommen ist (auch wenn das manchmal schwer fiel)

Wir müssten verstehen, es gäbe da zwei Faktoren: Taylor Swift einerseits und ihre „Fans“ andererseits. Relativ ernst zu nehmende Leute aus Europa scheinen erstmals in dem Tourfilm zur „Eras“-Tournee gewesen zu sein und bekennen mir nun anschließend bewundernd ergänzend: „So was habe ich noch nie gesehen“. Es gehe darum, so ließ ich mich kulturwissenschaftlich belehren, „sehr ernsthaft zu leiden und dann weiterzumachen“. Nicht wie einst bei Madonna, das Medienklavier mit großen und teils provozierenden Inszenierungen zu spielen und die sexuelle Revolution zu beschwören. Es gehe bei ihr vielmehr um Intimität und Gefühl, weniger um Sex-Performance.Taylor Swift komme aus „normalen“ besitzbürgerlichen Gefilden des gehobenen Mittelstands, sei ein typisch weißes Girl mit „Girlie“- Attitude und symbolisiere eine überwiegend weibliche Anhängerschaft derer, die man früher „Mädchen“ genannt habe. Sie ziehe verrückte Kostüme an und wirke wie Barbie. Darin liege ein feministischer Akt. Früher nannte man so etwas „androgyn“: Frauen wollte Männern mit deren eigener Attitüde gefallen: höher, schneller, weiter, härter….. Die amerikanische Gesellschaft sei ja eine von Heteronormalität geprägte. Swifts Verdienst sei es, dass dies von ihr erweitert wurde. Dass sie eine eher mittelmäßige Sängerin mit mittelmäßigen Arrangements sei, ließ man nicht gelten. Das spiele in der Popmusik eh keine Rolle. Vielmehr sei sie eine großartige Musikerin. Zugute wird ihr auch gehalten, dass sie eine Auseinandersetzung mit ihrer Plattenfirma Machine Records durchgestanden habe und dabei etliche ihrer Alben ganz gegen die Gepflogenheiten dieses Geschäfts noch einmal neu aufgenommen habe.

 

Bowieman

Ich habe heute morgen mal wieder „Blackstar“, die letzte Scheibe (jetzt uralt! Von 2016) von David Bowie gehört: von vorne bis hinten jeden Titel. Ein richtiger Fan von Bowie war ich ja nie, obwohl er aus demselben zeitlichen Umfeld kommt wie ich selbst. So richtig konnte damals kein Kritiker etwas mit diesem letzten Album anfangen. Rock scheint halt nichts zu sein für die letzten Dinge. Ich selbst habe durchaus negativ wahrgenommen, wie er als einer der Totengräber des Rock`n Roll sich selbst in einer Art Aktie an die Börse brachte und seine Anteile an ein Private Equity-Unternehmen veräußerte. Schillernder Millionär. Abgesehen von dem Pathos, das dem letzten Album inne wohnt, habe ich oft über raffinierte tontechnische Effekte gewundert, die da zu hören waren. Ein Großkünstler des Rock, der den von außerhalb unseres planetarischen Gesichtskreises kommenden Alien spielte. Ein Experimentator auch. Innovator mit typischer Stimme und Ausstrahlung. Personality. Ein Offenheitskünstler, der freilich die ihn umgebenden Künstler nach Belieben eingesetzt und wieder entlassen hat.

Er ist eine nicht mehr lebende Legende, die wohl bald in ausverkauften Konzerten als Hologramm ihre Auferstehung feiern wird. Rockarbeiter umgaben ihn. Ausbeutung. Entfremdung. Hire and Fire. Aber ein Kreator. So das Image. Er setzte ein und setzte aus, wie etwa Madonna das damals auch tat. Menschen und ihre Phantasie gebraucht. Benutzt. Ein Großkünstler seines Formats darf das, - habe ich gehört. Ich bin nicht dieser Meinung. Rolls Royce fahren (lassen). Cash-Flow. Aktienmillionär. Tausend Musiker haben ihn umgeben. Auf jeder Scheibe ein anderer Pulk. Man hatte sich in einen Sound verguckt, aber schon auf dem nächsten Album kam bei ihm etwas anderes. Schnulzen und moderne Rührstücke auch, das volle Regal. Zeitgeistig immer auf der Höhe. Alles unter einem Namen. Eine Marke. Auftritte zusammen mit allen damals wichtigen Figuren des R&R. 

Aus aller Welt

Nicht lange ist es her, als in der zu Popmusik gewordenen Rockmusik die Verwendung allerlei folkloristisch ausgewiesener „Styles“ als Weltmusik gepriesen wurde. Afrikanische Rhythmen, asiatische Klangschöpfungen, südamerikanische „Vibes“, Meditatives, extravagante Instrumente und feurige Tänze: Aneignung par excellence. Alles ging und war Zeugnis einer kreativen Anverwandlung der Popmusik, die freilich allzu oft bestimmten besitzenden Kreisen nutzte und die Musiker als nützliche Exoten zurück ließ. Mischungen aller Art waren sowieso zugelassen. Mittlerweile aber liefe so etwas unter „kultureller Aneignung“ oder - vulgär ausgedrückt - unter bei fremden Kulturen „klauen“, was kaum noch jemand riskieren würde. Eine Band rund um das Didgeridoo: unmöglich, so etwas. Kreative Verwendung einer Ney? Einer Oud? Geht nicht. Obertongesang? Unmöglich! Immerhin geht es um geistiges Eigentum an traditionellem Wissen und um traditionelle kulturelle Ausdrucksformen. Ob sich aber die populäre Musik schon immer an solchen Grenzüberschreitungen aufgeschnappt, erweitert und bereichert hat? Das Echte, das Pure und „Unverdorbene“, ob das nicht immer schon eine Illusion war? Identitäten und kollektive Selbstbestimmung? Ob da etwas von einem Bereich in den andern hinein getragen wird? Wem gehört Kultur und welche Rolle spielt dabei die „Globalisierung“? Ach ja. „Einlehnen“ und „entlehnen“ nicht immer schon eine Technik war, die ohne imperiale Absichten sogar übers Musikalische hinaus ging? 

In West-Texas

Es mag schon etliche Jahre her sein, als ich durch West-Texas kam. Die karge, aber abenteuerliche Atmosphäre dieses Landstrichs nahe Mexico gefiel mir, auch wenn ein breites Sortiment an giftigen Schlangen dieses Vergnügen mindern sollte. Da waren Freaks in der Einöde, die ihre schrullige Seltsamkeit niemals zur Schau stellten, auch weil sie arm waren und um ihre Existenz kämpfen mussten. Selten habe ich es erlebt, dass eine Musik so gut zu einer Gegend gepasst hat. Lyle Lovett, ein äußerlich hässlicher Mann, dem breiten Volk vor ein paar Jahren durch seine Ehe mit Julia Roberts bekannt geworden, hat mit dem Doppelalbum „Step inside this House“ eine an persönliche Bekanntschaften geknüpfte Hommage an jene in West-Texas wohnende Clique der Sänger/Songschreiber aufgenommen, deren Namen man zu einer genau definierten Zeit überall kannte: Townes van Zandt, der Melancholiker und Songpoet, Stephen Fromholz, Guy Clark, Robert Earl Keen und andere… Unspektakulär erzählend in Genrebildern nüchtern schwelgend (geht das? Ja, bei LL...) hier auch die Musik von Lyle Lovett. "Texas Trilogy", "Texas River Song" "Sleepwalking". Er kommt hier wohltuend schmucklos daher, wie wenn er das Übertriebene, dieses "Sich Anbiedern" nicht nötig hätte, - und doch scheint er ganz genau zu phrasieren, die Details des Ausdrucks abtastend, wie wenn er die Essenz des jeweiligen Songs in sich eingesogen hätte. Das alles ist bei ihm dramatisch untertrieben, das Understatement und die Lakonie feiernd, er lässt die Romantik des Einfachen hochleben, er lässt ein bisschen Ironie mitlaufen, ein bisschen Sarkasmus auch, er knurrt da kein bisschen gefallsüchtig oder in irgendeinem Sinne übertrieben, stellt den jeweiligen Song in den Vordergrund, ist gleichzeitig bodenständig und um Kunst bemüht, er lässt einzelne Vokale aufblitzen und schluckt sie zurück. Stark, dass er sich damit, wie auf Tonträger dokumentiert, auch in großen, bis zu 24köpfigen Big Bands darstellen konnte, ja, dass er ganz offensichtlich in seinen Songs die präzisen musikalischen Schattierungen genauso wie jene in seinem Gesang liebte und in Bezug zueinander brachte.

Glanztaten?

Ach ja, wie Ozzy Osbourne damals beim Treffen mit der Plattenfirma im Stechschritt über den Tisch marschierte, wie er seine Eier in ein Glas baumeln ließ und dann hinein urinierte: Frühe Glanztaten der Rockmusik, so wird geraunt. Der traut sich was. Der war durch das viele Geld legitimiert, das Black Sabbath damals verdienten und um das sie damals offenbar beschissen wurden, - wie geraunt wird. Dass man vom Managment betrogen wurde, scheint damals zum guten Ton gehört haben. Damals. Es war halt obligatorisch, ein abgründiges Grinsen. Eine Verehrung – wenn’s geht, in der Freizeit. Bewunderung dafür, wie es solchen Leuten möglich war, schon mal alles voll zu kotzen und trotzdem heftig hofiert zu werden, fähig zu sein, auch im hohen Alter den typischen Geruch von Schweiß und Bier, die Atmosphäre des Bösen und Düsteren noch einmal herauf zu beschwören. Was für tolle Schnurren boten diese in Schwarz gekleideten Jungs! Nun ja, da stanken Typen wie Townes van Zandt und seine leisen Lieder dagegen ab. Der ließ sich eines Tages aus einem Fenster fallen, - aus Verzweiflung, so wird kolportiert.

 

Man ließ bei Black Sabbath schon mal ein Kreuz um den Hals baumeln, dachte sich aber nicht viel dabei. Dafür konnte Ozzy saufen ohne Ende. Toll! Es sind womöglich noch ein paar andere Drogen hinzu gekommen, was ihn beinahe total ruinierte und sogar als Trunkenbold ins Taumeln brachte. Doch der tapfere Held des Musik-Metalls hat überlebt, ein bisschen auch wie Lemmy Kilmister, der ähnlich lange durchgehalten hat und seine öffentliche Rolle auch hingebungsvoll inszeniert hat. Osbourne hat aus einem Leben gar eine Reality-Show gemacht und hat bei einer Reunion-Tournee mitgewirkt, die die alten Mythen trotz eines fehlenden Gründungsmitglieds noch einmal beschworen hat.