Sammlung

Wie soll ich da ran gehen? Das beschäftigt mich manchmal schon in der Aufwachphase. Fest steht, bestimmte Sachen will ich in der allerbesten mir möglichen Qualität hören, also auf der großen Anlage (von der ich hoffe, dass sie noch lange existiert). Möglicherweise lasse ich mich auf Verdacht mit einem Titel ankicken, gerate in eine Stimmung, gehe darin unter und weiter. Werde neugierig. Lasse mich hinein ziehen. Unterschwellig fühle ich mich verpflichtet, mehr von dieser Scheibe zu hören, was zweifellos von früher kommt, als man ganze Alben hörte. Außerdem hatte ich diese ganzen Sachen einmal gut gefunden, was wohl auch seine Gründe hatte. Ich stelle dann oft fest, dass sich mein Geschmack verändert hat: weiterentwickelt? Wie früher, höre ich auch jetzt oft situationsorientiert: bei der Küchenarbeit oder dem Bügeln höre ich anders, als wenn ich mich explizit hinsetze, um mir einen Künstler und seine Entwicklung zu erschließen. Oft flutet auch Sound die ganze Wohnung, füllt sie aus, dringt in mich ein, stößt in mir auf Reaktionen. Ich höre oft etwas, was an meinem Gemütszustand orientiert ist: manchmal suche ich Ermunterung, kunstvolle Konstruktion, Humor, ungewöhnliche Soundentwicklungen und manchmal schöne Melancholie. Manchmal auch das gelungene „Gesamtpaket“. Dann neige ich dazu, stets dieselben Register zu ziehen, also dieselben CDs raus zu kramen. Manchmal gehe ich auch von einem von mir gefundenen Künstler aus und suche von ihm aus weiter. Wer hat mit wem zusammen gespielt? Von wem habe ich schon Interessantes gehört? Wer hat den Horizont, der mir rein läuft? Der mich anspricht. Wahr ist auch: Manche „Künstler“ zelebrieren gerne ihr aufgeblähtes Ego. Ich selbst gehe in der Popmusik nicht von „Großkünstlern“ aus. Diese „Künstler“ produzierten oft nach kommerziellen oder technischen Gesichtspunkten, kaum nach ideellen oder künstlerischen, wie wir früher leider zu oft vermuteten.

Durch die Luft

Meist nehme ich mir erst die „Walkie Talkie“ und lasse sie mit ihrer ganzen schönen Teilnahmslosigkeit durch die Wohnung strömen. Es ist ein Automatismus. Beeinflusst mich das? Sich hinein fallen lassen in müde Gleichgültigkeit? Etwas Edles in sich hinein dudeln? Nein, ich kann mich abgrenzen. Es ist ein Modell, eine Möglichkeit. Nicolas Godin und Jean Benoit Dunckel sind Air. Duo. Sie wurden mit ihrer scheinbaren Coolness immer wieder mit Werbeagenturen etc. in Verbindung gebracht: chice Musik, die sich über die eigene Gleichgültigkeit und wie sie eingesetzt wird, mokiert. Designer-Pop. Es ist kein Beklagen. Es ist eine Art „Sich-Lustig-Machen“. Lahmes Kritisieren. Hoffen wir mal. Die Popmusik hat ja diesbezüglich oft getrogen und belogen. Sie kamen ja aus Paris, was mir alleine schon gefiel, wurde diese Stadt in ihrer Bedeutung für die populäre Musik lange Jahre zu sehr herunter gespielt. Nachdem auch Daft große Hits gelandet hatte, galt die Stadt ein paar Jahre lang als Mittelpunkt der Popwelt. Jetzt ist alles zu einer einzigen Sauce ineinander geflossen. Bedeutungen sind zerrieben.

Schon damals war alles nur noch ein Verweis, oder ein Zitat aus anderen Zeiten. Analoge Synthesizer galten zu dieser Zeit als besonders hip. Sie waren bei ihnen oft raffiniert eingesetzt. Elegante Basslinien kommen an mein Ohr. Ob man ihnen anhört, dass Nicolas Godin Bassist war? Ich sah sie mal live, da zelebrierte er diese Rolle ganz in Weiß gekleidet. Nebenher klang aber auch eine Akustikgitarre, was ja so recht eigentlich auch sein Job war. Wie ging das zu? Ich weiß es nicht mehr. Jetzt bin ich in „Moon Safari“, was ja einst hoch gelobt wurde und auch einen eigenen Sound hat. Später haben sie sich in ihren Alben verirrt, wobei sie nicht die Ersten waren, denen so etwas passiert. Sogar Pink-Floyd-ähnlichen Kram haben sie eingespielt. Schauderhaft. Ich füge meine damalige Besprechung aus dem Jahr 2012 zur Verdeutlichung an: „Nochmal zum Mond - das Duo Air macht Musik zum (Stumm-)film - Nicolas Godin und Jean Benoit Dunckel alias Air haben ein neues Album. Sie haben es als Soundtrack für den 1902 entstandenen und jetzt nachcolorierten Stummfilm „Le Voyage dans la Lune“ von Georges Méliès produziert, weshalb ihr knapp 32minütiges Werk jetzt auch so heißt. Gut abgefederter Luxus-Lounge-Pop wie in ihrem sehr erfolgreichen Debüt „Moon Safari“ ist das nicht. Sie haben für ihre Filmfantasie wieder einmal den alten Krautrock hervorgeholt und ihn aus heutiger Sicht neu poliert, was ihr Tun von den unzähligen Tracks der elektronischen Clubmusik immerhin abhebt. Wir hören die gewohnten Chöre gelegentlich hereinschweben und Pauken knallen auch mal in den Ohren, es gibt Synthesizer-Schlieren und ein paar nett integrierte Geräusche. Was zusammen mit dem Stummfilm noch funktionieren mag, entwickelt als eigenständige, im stillen Kämmerlein abgelauschte Musik höchstens eine angenehme Langeweile. Ach ja, Air: die können sich das erlauben. Als Idee ist das alles auch ganz nett. Ein bisschen mehr Aktion wäre aber auch nicht schlecht gewesen. Futter fürs Ohr. Anreiz. Motive, die nicht nur ohne Bild versagen und in sich selbst versacken. Air: Le Voyage dans la Lune. Emi Music.“  

Streben

Ob das eine Art mystischer Aufgalopp war, was ich in meiner Jugend suchte, als ich stundenlang auf dem Piano improvisierte? Etwas, was ins persönlich Religiöse führte, was sogar noch darüber hinaus ging? Etwas Individuelles finden, ein intim gefärbtes Ziel suchen, diesen Antrieb hatte ich schon nach der Lektüre Hermann Hesse empfunden. Geradezu trivial ist, dass damals jeder dem Zeitgeist entsprechend sein persönliches und manchmal auch psychedelisch veredeltes Heil suchte. Möglichst noch so etwas wie Erleuchtung, die Pop- und Rockmusik samt ihrer ausführenden Personen („Love, Devotion and Surrender“) konnten einem da manche Anregungen vermitteln, die Literatur auch. Der Zeitgeist strebte in diese Richtung. Blöd nur, dass ich auf diesem Weg nicht sonderlich weit voran kam, jedenfalls nicht sicht- und nachvollziehbar für meine Umwelt (die dazu oft Drogen nahm und mich ununterbrochen dazu verführen wollte). Was für meine Umwelt zählte, war zunehmend das Geld.

Und ich? Man klimperte, stümperte, improvisierte, und wollte dadurch in Kontakt mit etwas kommen, von dem nicht genau wissen konnte, was es war. Am Lagerfeuer versagte man, man zuckte seltsam auf der Gitarre herum, riss an, verwarf. Man blieb in den Augen der Umwelt Stümper, was zählte, war eine Art Virtuosität in bekannten Songs, kombiniert mit angelerntem Gestus des von seinem Talent Beschenkten. Man nahm das schon wahr, dass man abstank, dass man keinerlei Beachtung oder gar Anerkennung erfuhr. Es verletzte einen. Also spielte man in 1000 Bands mit (wo ich mich bewusst unterordnete, nicht, wie alle anderen, zum Solo drängte) und versuchte nebenher, sein eigenes Ding zu machen (wo ich meine eigenen Ideen verfolgen konnte, wobei mir jene Mitmusiker halfen, die sich einer Idee unterordnen konnten, "Solo-Projekt"). Es wurde nix nach gängigen Maßstäben. Diese „gängigen Maßstäbe“ setzte alleine das Geld. Auch auf diesem Gebiet versagte ich radikal. Geld erschien mir als ein Medium all dessen, was ich auf diese und jene sanfte Art bekämpfte. Ich ließ mich in die Literatur fallen, empfing von dort aus neue Anregungen. Danach kam das Studium, aus dem nun wiederum neue Anregungen erfuhr. Die Anregungen stießen mich seltsamerweise oft auf eine Realität, die von „Beziehungen“ (so nannte man damals noch das „Networking“) und Intrigen, von Gier und Trieb geprägt war. Man fühlte sich in die Rolle des Beobachters gedrängt und formte daraus später sein Verständnis von Journalismus, in das man sein Verständnis und seine Erfahrungen von Rock- und Popmusik einzubringen versuchte. Wiederum versprach man sich davon eine Art Ausstrahlungskraft und einen gewissen Ruf, was sich aber wiederum als eine krasse Fehlkalkulation heraus stellte.

Auch war man in einem solchen sozialen Zusammenhang (man fand sich im „Journalismus“ wieder) so etwas wie Mobbing und Karrierestreben ausgesetzt, was ich alleine schon aus meiner Erziehung gar nicht kannte. Später nahm ich mein altes Streben in der Musik wieder auf. Ich produzierte jahrelang vor mich hin und fand bestimmte Sachen gut, andere weniger gut. Doch ich konnte weder dies noch irgendetwas anderes „verkaufen“. Dass dies „Verkaufen“ insbesondere in einer schwäbischen Umwelt zählt und dass man sich dabei „hart anfassen“ lassen muss, gehört zu jenem, was ich der Folgezeit zu kapieren hatte. 

Der Leisespieler

Das leise Ausformulieren können. Mit Understatement und Spannungsbögen arbeiten. Da ist nirgendwo Imponiergehabe. Das geht mir ein, ohne sich anzubiedern. Man hat den Eindruck: das hat er besonders bei seinen eigenen Solo-Produktionen nicht mehr nötig. Der Gitarrist Dominic Miller hat viele lange Jahre bei Sting gespielt. Live und im Studio. Akustisch und elektrisch. Mit und ohne Sohn. Davor bei tausend Studioproduktionen mitgemacht. Unter anderem Phil Collins. Paul Young. Bryan Adams. Peter Gabriel. Luciano Pavarotti und viele andere. Dominic Miller ist Halb-Argentinier. In Buenos Aires geboren. Dort die ersten zehn Jahre seines Lebens zugebracht. Dann hinaus in die Welt. Er schöpft musikalisch mit seiner Nylon-Gitarre aus Jazz, Folklore, Rock und Pop. Miller vereint auch solistisch das Leichte mit dem Schweren. Darin ist er souverän. Virtuos. Wenn er in seinem Sound sehr leicht ist, geht das bei ihm nie in Geplätscher über. Wunderbar. Man hört ihm zu. Unwillkürlich. Wie macht er das? Kein Zweifel, das versteht er. Nicht nur darin ist er spitze. Ich höre jetzt „Fourth Wall“, habe auch noch einige andere Produktionen von ihm. Seine Begleiter sind genauso selbstlos wie er selbst. Spitzenkönner. Stellen sich in den Dienst der Sache. Das beruhigt positiv. Das lädt auf. Das schwebt in mir. Das entfaltet sich. 

Musik verändert die Welt

Paddy McAloon ist kein besonders religiöser Mensch. „Um ehrlich zu sein: Ich kann gar nicht sagen, was ich glaube. Reine Vernunft erscheint mir aber wie ein geschlossenes System. Sie kann nicht wirklich etwas außerhalb ihrer selbst erklären“ soll er gesagt haben. Mitte der achtziger Jahre war er mir schon aufgefallen als überragender Songschreiber, der mit seiner Band Prefab Sprout ein auf dem Cover der ersten Platte „Steve McQueen“ enges, auch optisch eindrucksvoll dokumentiertes Verhältnis pflegte. Umso erstaunlicher war es, als er 2010 eines unter seinen bisher letzten Alben „Let’s change the World with Music“ heraus brachte, im Alleingang aufgenommen, alle Instrumente von ihm gespielt. Es muss sich so ergeben haben, nachdem ihn erst ein schwerer Tinnitus (dadurch hört er bis heute keine Bässe mehr, sondern spürt sie nur noch), und dann eine Hornhautablösung überfallen haben. An Auftritte oder gar Tourneen mit seiner genau zu dieser Zeit extrem aufstrebenden Band war danach nicht mehr zu denken. McAloon strickte sich immer mehr in seine eigene Welt ein, erfand seine eigenen Gesetzmäßigkeiten und erwarb unter Musikern und bei mir einen legendären Ruf. Doch jetzt „Let’s change the World with Music“. Gleich im ersten Titel „Let there be music“ heißt es in der allerersten Zeile: „ In the beginning was a mighty bang…“ und „God was moved He made a choice he said „let music be my voice“. Er spinnt das Thema über tollen Harmonieprogressionen weiter, zuerst bis zum Titel „God watch over you“. Nein, er ist oder war kein Verkündiger! Es gibt auch sehr weltliche Alben von ihm. Im erwähnten Titel aber heißt es „God watch over you, every minute, every moments“. Aha. Ein Mann und seine in Musik gesetzten Thesen. Next: „Earth: the Story so far“. ...There was a baby in a stable. Some say, it was the Lord singing „save me, save me“. In Skepsis gepuderte Agnostik. Persönliche, in Töne gesetzte Auffassungen. Liebe zur Musik. Ganz unironisch. Er hat das ganze Album auf einem kleinen Atari-Computer eingespielt. Unglaublich. Allgemeines kam ihm in den Sinn: „Ich kann mir gut Welten vorstellen. Darin bin ich stark seit meiner Kindheit. Das ist mein Thrill, etwas zusammenzusetzen, eine Welt, von der ich vielleicht nicht mal wirklich weiß, was sie bedeutet, oder vor der ich warten muss, bis sie mir vielleicht selbst sagt, was sie bedeutet“