Mit der Zeit

Es klackt ein Metronom und strukturiert die Zeit, in die sich sogleich eine Stimme und ein gezupftes Cello mischen. „Tempo al Tempo“ heißt dieses Album der sizilianischen Sängerin Etta Scollo und der Cellistin Susanne Paul im Duo Scollo con Cello, dem Pop und Lyrik, von Jazz bis Folklore zugeschrieben werden. Braucht es diese Einordnungen? Je länger wir hören, desto weniger glauben wir das. Es ist dies hier vielmehr ein intimes musikalisches Zwiegespräch zwischen der Sängerin, die auch ein paar Texte beigesteuert hat, ansonsten aber auf die Poesie von Gedichten und überlieferten Liedern vertraut hat. Im Booklet sind die italienischen Texte und die deutschen Übersetzungen abgedruckt. Wir könnten uns also zurücklehnen und in den Texten stöbern. Merkwürdigerweise teilt sich uns vieles auf anderen Kanälen mit: das Metronom am Anfang des Titels „Il Metronomo“ glauben wir sogleich in seinem unbarmherzigen Ticken verstanden zu haben. Klar, die Zeit ist der rote Faden des Albums und unseres Lebens. Ihn umsingt sie mit einer wandlungsfähigen Stimme zusammen mit dem manchmal auch sehr rhythmischen, fast schon funky anmutenden Spiel von Paul, die aber auch herb knarrige und mehrstimmige Passagen zeichnet und sich gelegentlich auch mit einer zweiten Gesangsstimme hinter Scollo mischt. Wir werden hier immer weiter in eine Konzentration hinein gezogen, in ein Lauschen, das uns augenblicklich wesentliche Zusammenhänge vor Augen führt. Unsere Begleitinformation sagt uns: „Die Zeit wird zum „unsichtbaren Dritten“, das Duett wird zum Trio. Die Zeit ist allgegenwärtig, als Maßeinheit des Lebens, als Liebes- und Zerstörungskraft, als Todesbote. Zwei weibliche Stimmen, zwei Instrumente, poetisch authentisch, melancholisch, oft ironisch.“ Ironisch? Stimmt. Zum Beispiel ist da der Song „Derrida“, der den Dekonstruktivisten dekonstruiert und seinen Begriff von Zeit in surreale Zusammenhänge überführt. Oder „so ist das mit Glück“, im Duett auf Deutsch gesungen und scheinbar an mittelalterlich barocken Gesang anknüpfend. Ein Haiku. Ein Denkgesang. Wie ein rätselhaftes Gemälde, das mit unseren bescheidenen Mitteln zu fokussieren scheint, wie es sich denn mit dem Glück so verhalte. In „Monate“ rast der Tod – nach einem Gedicht von Joachim Sartorius – auf einem Leichenwagen dahin. „Der Wagen, der große Wagen, aus dem sich Funken lösen“. Schön, wie sich die Sprachen abwechseln vermischen, italienisch, deutsch, vokalistisch stimmbetont: „Im März bist du geboren. Im April wirst du davonjagen, auf dem Bretterwagen“. Im Titel „Sendersuchlauf“ wird sie zum Kumpan des häuslichen Versumpfens, zum Komplizen in der midlife-crisis. So geht’s weiter: lauter aparte Chiffren, die uns mit musikalischen Mitteln zeigen, dass wir mit dem Rätsel der Zeit nicht ganz alleine sind – oder dass wir gerade das sind.

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