Kritik der Kritik

Mehr aus Zufall, aus einer Laune heraus fange ich an, meine CDs aus anderer Lebenssituation heraus zu hören, gehe sie durch, aus anderer Perspektive, komme zu Schlüssen. Man war im Berufsleben als Journalist zu oft zu schnellem Urteil gezwungen, zu rationalem Handeln (wo man hätte auch mehr Emotionen einfließen lassen sollen), musste gewisse Maße und Vorgaben erreichen, gewisse Formen wahren. Man hätte sich länger einlassen sollen. Bedeutet das, dass meine Beurteilungen, Einschätzungen und Hörfrüchte dann anders ausgefallen wären? Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Vielleicht konnte ich meine Einschätzungen damals komprimieren, schnell formulieren, war zu etwas gezwungen, was sonst nicht meinem Naturell entspricht. Jedenfalls fühlte ich mich keinen Vorurteilen ausgeliefert, war auch Beeinflussungsversuchen wenig zugänglich. Jaja, da war ohnehin vieles für den Augenblick produziert. Prinzip: Pop. Schnelligkeit und manchmal – ja!- Hektik hatte  manchmal auch in meiner Produktion Vorrang vor einer Bedacht, einer inneren Ausgewogenheit, die dem Umstand vielleicht eher gerecht hätte werden können, dass da jemand sich und seine ganze Kreativität investiert hat. So sieht es wenigstens aus heutiger Perspektive aus. Ich höre eine Scheibe aus der Sicht von Heute an – und sie verändert sich noch heute, geschweige denn, dass ich mir noch die Sicht von früher vergegenwärtigen könnte. Meine Sicht der Dinge ganz allgemein glich oft einem Kontinuum, das sich dauernd veränderte und sich Lebenssituationen anpasste. Dadurch kam es leider auch, dass ich als Musikjournalist keine Routinen entwickelte, ich musste ständig neu um eine Einschätzung kämpfen, jede Situation war neu für mich, stellte mir ihre Anforderungen. Und ich? Drückte aus mir heraus, was gefordert war. So gut es eben ging….. 

Kunst- was ist das?

Haha, alten Text über Popsongs gelesen. Da wird im Ernst gefragt, ob sich die Betreffende, die einem mit „wohltuendem Schwachsinn“ zugesetzt hat, ob sie also am Ende sich als Künstlerin erweist. Mir kommt es so vor, als sei der Begriff der Künstlerin oder des Künstlers nicht erst jetzt dermaßen aufgeweicht, dass sowieso niemand mehr weiß, wer oder was das ist….. Abgesehen davon ist es mir subjektiv längst egal, ob etwas künstlerisch wertvoll ist. Objektiv kann ich natürlich alles jederzeit erklären. Künstler? Pah! Und dann ausgerechnet Popmusiker? Deren „Erfolg“ sich mit einem infernalischen Grinsen nach dem Umsatz bemisst? Haha, ich las etwas von „leichter Schläfrigkeit“ und "verträumter Melancholie“: nein, nein, es ging in diesem Falle nicht über Lana del Rey! Das mit der lebensverändernden Kraft eines Songs kenne ich auch, funktioniert bei mir aber wesentlich seltener. Hab’s nicht so im Griff! „Fadenscheinig“ und „abgestanden“ werde der betreffende Song bald wirken. Hm, leider denke und fühle ich das gleich mit, wenn ich den Song zum ersten Mal höre. Ein dreiminütiger Popsong könne halt „seine Geheimnisse nicht ewig bewahren“, so lese ich... Klaro, so denke ich mir. Das liegt am Wesen eines Popsong. Dann geht es um den „Wegwerfcharakter“ von Popmusik und dann langweilt mich das alles, obwohl ein großer Name den Buchumschlag ziert. 

Popismen

Habe ich eigentlich eine besondere Erinnerung an Abba, für die ja jetzt die gesamte Popwelt jetzt zu schwärmen scheint? Ich befürchte, dass sie mir egal waren und ein Inbegriff der klischeehaften Popwelt: Kitschig, verlogen, - allenfalls. Ein Produkt – und kein besonders künstlerisches. Sie scheinen mir jene Mythen zu verkörpern, die die Popwelt immer umspielt hat. Projektionen, Sehnsüchte, Kunstwelten. Wenn sie jetzt als Knattles und alte Damen daher kommen, so heißt das, dass sie auch nur Menschen sind: Wie überraschend! „Dancing Queen“ und all das Zeug: Ohrwürmer, um Geld zu verdienen. Nix Besonderes auf dieser Welt. Wenn man aber die vielen lobhudelnden Geschichten von heute liest, dann waren sie für alle eine Verkörperung der wahren Liebe, des Sonnenscheins von Melodien, des verkitschten Burgjungfrau- und Ritter-Mythos, der schlechtesten und süßlichsten aller amerikanischen Träume in der Folge von Cadillac und Santa Claus.. Musical-Märchen. Irgendwie peinlich fand man das, wollte es sich aber leisten, sich nicht damit auseinander zu setzen. Wer das wollte, der sollte es haben.

 

Musikalische Perfektion“? Wird ja jetzt an Abba immer so gelobt. Für uns damals bedeutete das nichts. Eine Vertonung des Nichts. Sonst nichts. Altmodisches Zeugs. Keine klare Zuspitzung auf ein Thema außer dem der Unterhaltung. Die Herren fummelten an irgendwelchen Instrumenten herum und die Damen in ihren komischen Kostümen machten dazu eine gute Figur – halt in dem vorgegebenen Sinne. Insgesamt stellten sie ungefähr das dar, was heute an zurecht gecasteten Formationen in den Medien nervt. Gefühl, ja das Gefühl an ihnen wurde auch immer so gelobt in früheren und letzten Zeiten. Für mich waren sie das Gegenteil von Gefühl. Für mich waren sie Zuckerstil mit ein bisschen Disco, durch und durch künstlich, von dem, was wir unter Gefühl verstanden, keine Spur. Ein Medienprodukt. 

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Schwebende Soundgespinste

Was ich einst über ein 2012 erschienenes Album mit Ryuichi Sakamoto und Christopher Willits geschrieben habe:  

 

Schwebende Klangpoesie als Geschenk

 

Der Freistilmusiker Ryuichi Sakamoto hat eine neue musikalische Begegnung gesucht.  

Sanft schweben sie herein und breiten sich aus, sie scheinen aus dem Dunkeln zu kommen, um ins Licht zu gehen: Die Stücke des Albums „Ancient Future“ des Duos Christopher Willits und Ryuichi Sakamoto umfangen uns weich, hüllen uns ohne Gefälligkeiten freundlich ein. Sie haben Titel wie „Abandoned Silence“, „I don't want to understand“ oder „Levitation“. Gut getroffen, so denken wir. Tonzusammenballungen, die aus digitalen Klangspendern kommen, aber auch herkömmlich akustisch erzeugte Pianoklänge kräuseln sich dazwischen, um sich selbst kreisend, als Angebot zum Staunen. Die beiden sind zusammen auf einer Art Reise und spielen sich nicht in der Weise die Bälle zu, wie das zuletzt auf dem Album „Flumina“ Sakamoto und Christian Fennesz getan haben, jener Gitarrist und Elektroniker, der Christopher Willits in manchem ähnlich zu sein scheint. Sie verfolgen vielmehr einen anderen Ansatz, betonen mehr das musikalische Miteinander.

Sakamoto hat ja immer wieder die kreative Begegnung gesucht und hat unzählige Male versucht, avantgardistischen Klangexpeditionen aus ihrer Verschlossenheit herauszuführen. Es ist ja ein Grundimpuls seiner Arbeit als Musiker, Produzent, Arrangeur, Komponist, Fotograf und Schauspieler. Er bewegt sich gerne zwischen Welten, nicht als kurzweiliger Gag, sondern als weit gespanntes Motiv. Er hat mit und für Madonna, Brian Wilson, David Bowie, David Byrne und vielen anderen Popgrößen gearbeitet. Er ist als Keyboarder zusammen mit dem Rockmusiker David Sylvian bis an den Rand der populären Musik gegangen und er hat für Bernardo Bertolucci Filmmusik geschrieben, auch für Regisseure wie David Lynch und Oliver Stone. Der heute 60Jährige hat einmal Musik in Tokio studiert und sucht fortwährend eigene Verbindungen zwischen fernöstlicher und die europäischer Musiktradition. Tastend, suchend, immer wieder neu ansetzend seine Einfälle in verschiedene Formen der Kompaktheit packend, sie hineinzwingend in immer neue Formen. Wir können jetzt wieder dabei sein bei einem solchen Versuch. Durch Atmosphären schleichend, durch Stimmungen gleitend, Hörräume behutsam mit Fantasie ausfüllend, dem Freistil zwischen Ambient Music und Avantgarde  Schwingen verleihend. Aus der Stille heraus in die Stille hinein. Eine Vision. Ein Traum. Einfach kompliziert.

 

Christopher Willits/Ryuichi Sakamozo: Ancient Future. Ghostly International

Begeisterung mit Distanz

Wir sind dem unablässigen Beschuss durch kulturelle Versatzstücke ausgeliefert. Etwas steht für etwas. Hat sich verselbständigt. Ist zum industriell geprägten Zeichen, zum auf sich selbst zeigenden Hinweis, zur verkürzten Chiffre geworden. Und dann die Namen! Ghandi steht für Gewaltlosigkeit. Kennedy für die Hoffnung in eine Zukunft. Trump ist eine seltsame Figur, die uns mit ihren Sprüchen und kindlichen Posen aber über die Medien fortwährend untergejubelt wird. Zeichen und Wunder: Der Eiffelturm ist ein Wahrzeichen von Paris. Die Freiheitsstatue soll etwas Wichtiges an den USA zeigen. Die Engelsstatue in Rio de Janeiro... und vieles andere. Ebenso gibt es aber auch musikalische Versatzstücke, die das Gefühl mit des Gehirns Verstand koppeln und eine Art kollektivem Gedächtnis entstehen lassen. Wenn also Freddie Mercury etwas von „Meisterschaft“ jault, wenn Michael Jackson quiekt und sich tanzend ans Gemächt fasst, dann sind das alles Zeichen, Logos, Erkennungszeichen, Auslöser von Reflexen, die sich eingegraben haben in uns. Lionel Ritchie schmalzt „Hello, - it‘s me“, Momente scheinen aufgeblasen zu einem Eindruck, schnulzen sich einer Andeutung von Identität entgegen: diese typisch übertriebenen und fast Comichaft wirkenden Emotionen sehen wir auch von sogenannten Schauspielern in vielen Fernsehfilmen (sie agieren so, dass es jeder kapiert), viele hetzen „Atemlos durch die Nacht“ und lassen der Sängerin ihre Verehrung aber sowas von spüren, dass es kracht. Celine Dio schnulzt in alle Ewigkeit ihr "My heart will go on" und Joe Cocker stöhnt sein woodstockerprobtes "With a little help from my friends". Elton John rührt mit „it‘s a little bit funny“ seinem Song und taumelt tränenreich mit „Candle in the wind“ der Beerdigung von Lady Di entgegen. Er hat den Song gleich mehrfach verwertet, der geadelte Schelm, denn er hat ihn ursprünglich für Norma Jean alias Marylin Monroe geschrieben. Wir reagieren. Wir sehen uns Reaktionsweisen gegenüber. Wir nehmen es wahr und reagieren aus einer anderen Warte, sollen aber gleichzeitig etwas von der Faszination dieser Figur transportieren, sollen ihrer populären Wirkung nachspüren und das dann möglichst begründen. Begeisterung auslösen als Folge einer langen Kette von gesellschaftlichen Mechanismen. Das eine oder andere aufzubrechen und es unter Wahrung der Massenperspektive darzustellen, könnte vielleicht die Aufgabe des Kritikers sein.

Konsument

 „In der Rock- und Popmusik fungieren die Allzweckhallen durchweg als Kulturtempel. Sie sind in guten Zeiten der Jenseits- und Wallfahrtsort, den zuweilen dicke Busse voller "Fans" ansteuern. Es wird klar, dass populäre Dinge wie Popmusik eine große Nähe zum Sport haben, - und umgekehrt. Massenveranstaltungen. Ich schrieb einst in einer Notiz dazu: "Mir war die ganze Zeit über bewusst, dass hier Menschen wie Vieh behandelt werden, - alles schon sichtbar an den Gattern, die für Sicherheit sorgen sollen". Der Preis für eine Eintrittskarte ist trotzdem hoch, der angebotene Service mies (gelegentlich kann es große Mühe bereiten, überhaupt die Toilette zu finden…) und durch eine gewisse, überkommene „alternative“ Einstellung legitimiert. Wenn das besser werden solle, müssten Konzerte noch teurer werden, so hörte ich. Dieser Bereich des kulturellen Schaffens sei ja nicht subventioniert.

Stimmt. Sitzplätze? Iwo, wer braucht denn sowas? Wir sind doch jung! Stehplätze? Plätze? Gedränge? Das macht es ja erst interessant. Tuchfühlung. Nähe. Die gemeinsame Ausrichtung der Gefühle auch physisch spüren. Ja ist der Mensch denn eine Massenware geworden, die viel bezahlt hat und damit - ihren Zweck erfüllt hat? Wo bleibt die Kohle hängen? Wer greift das alles ab? Und wo bleibt das einstmals alternative Selbstverständnis? Wo bleiben Freiheit, Gleichheit, oder gar „Brüderlichkeit“? Lange her. Vergangenheit. Haha, hängt am Ende gar damit die "Nähe" zusammen? Klar, dass das alles längst untergegangen ist. Nur, wo bleiben diese einst jungen Menschen, die das ganze alternative Getue manchmal dermaßen ernst genommen haben, dass sie sogar dafür gestorben sind oder zumindest dafür bereit waren? Was geblieben ist, sind das Copyright und einige halbwegs anmaßende „Künstler“ samt ihrer geldgierigen Sachwalter.“ (aus meinem Buch „Zuhören“, ub 2022 (s.16).

 

 

Wiedergänger

Manchmal dachte ich mir: Ob diese ganzen Arschlöcher einfach nochmal die Musik ihrer Jugend als Katalysator hören wollen, koste es, was es wolle. Und sei es die eigene Glaubwürdigkeit.... Psychologisch sind gewisse Gefühle, die eine Persönlichkeit über längere Zeit bewegt haben, an eine gewisse Musik gebunden (dazu gibt es wohl zahlreiche Studien). Dazu vollführen heute „große Stars“ dann gut geschminkt und frisch frisiert Gesten und Posen, singen das hohe Lied der Liebe und der ewigen Gefühle (Vorsicht! Spekulation!). Das schafft Verbundenheit und Gleichgerichtetheit mit all den anderen. Dies freilich machten sich auch Figuren wie Adolf oder Goebbels in politischer Hinsicht (was schnurgerade ins Totalitäre, also die Totalität unseres Seins mündete) zunutze. Sie erzeugten eine Gemeinsamkeit des Augenblicks, die sich in ihrem Falle fortsetzen sollte bis in den Tod. Die Euphorie, die so etwas bedingt, wird im kommerziellen Popkonzert auch durch die perfekte Lightshow erzeugt. Kicks und Effekte aller Art befördern die Absicht noch wirksamer. Die Band spielt handwerklich gekonnt, der Sound ist am Reißbrett entworfen, nimmt Klischees auf und überführt sie gekonnt in eine Show. Die Betonung liegt herbei auf „gekonnt“, denn der technokratische Vorgang steht dabei oft im Vordergrund. Gezielte Provokationen können hinzu kommen und einen Gestus, ein Image unterstreichen. Was entsteht, mag so ziemlich das Gegenteil dessen sein, was man einst als „Geheimnis“ bezeichnete. Es ist sogar das pure Gegenteil davon, nämlich das allzu Offensichtliche, das Hergestellte, das Offensichtliche, das (gut) Gemachte. Wenn diese ganzen reichen alten Arschlöcher dem auf den Leim gehen, ist das ihre sentimentale Sache, darf aber benannt werden. 

Mit Nick Drake durch den Herbst

Ich gehe hinaus in den Herbst und habe dabei Nick Drakes Album „Five Leaves left“ im Sinn. Auf Nick Drakes Grabstein steht „Now we rise. And we are everywhere“. 1948 wurde er geboren. Habe ich erst kürzlich erfahren. Ja, klar, er war wohl „psychisch krank“. So würde man heute sagen. Doch was heißt das? Vincent van Gogh war auch krank. Was ist krank? Setzt das eine Abweichung von den Normen voraus? In eine niederschmetternde Sonderexistenz hinein geglitten? Sowas geht auch ohne Drogen…. Nick Drake schlitterte in den zwanziger Jahren seiner Existenz schon in den frühen siebziger Jahren in eine Depression, aus der er nicht mehr heraus kam. Es gibt wohl so etwas wie Biografien, aber mir scheinen sie nicht besonders aufschlussreich. Mir kommt es darauf an, was seine Musik für mich bedeutete und bedeutet. Nick Drake war und ist für mich ein absoluter Bezugspunkt, - Leute würden sagen „eine Referenz“… Traurigkeit, Melancholie: nirgendwo wirkt er übertrieben oder kitschig, aufdringlich, inszeniert etwas oder lässt „ein Produkt“ entstehen. Seine Songs (vor allem auf „Five Leaves Left“) sind Kleinode. Alles wirkt „entbeint“, auf den Punkt gebracht. Die String-Arrangements sind vielschichtig und drängen sich doch nie in den Vordergrund. Akustikgitarren dominieren. Richard Thompson, der als ehemaliger Fairport Conventionmusiker damals noch in England wohnte, stand ihm als Gitarrist zur Seite. Dave Pegg und Dave Mattacks später auch. Toll, Richard Thompson ist sowieso einer der Besten! Nick Drakes zarte, aber gleichzeitig scharf konturierende Stimme! Sie ist ins sich selbst entrückt, es werden Gefühle zurück geschluckt. Trotzdem entsteht eine Richtung, die in die zarte Verletztheit seiner Seele führt. Alles ist auf einen knappen Punkt gebracht. Ich liebe diese CDs mit seiner Musik! 

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Soundmelancholie

Nils Petter Molvaer: seine Scheiben scheinen sich beständig zu drehen und neue Seiten an sich zu offenbaren. Ich sitze und höre „Solid Ether“ aufmerksam zu, dann „Khmer“ und „NP3“, wobei mir Instrumente und Verläufe auffallen, die in etwas Neues hinein führen. Zunächst nicht funktionierende CD-Kopien können mich dabei nicht bremsen. Ich kämpfe das durch und gelange stolz zum Hörgenuss. Da sind diese kratzigen Klänge, die in Elektronik gebadet scheinen, die auf hypnotischen Maschinen-Rhythmen tanzen, zerfetzt, verletzt, verwundet und sodann wieder in Schönheit strahlend, Bögen ziehend, aus dem Chaos aufsteigend, aus dem Grauen ins Goldene zielend, aus Sphären des Hintergrunds und wieder zurück blökend, sanft, dreckig wüst, aus Wolken hinein in ein Sandstrahlgebläse in Getragenem aufgehoben hinaus ins hektisch Getriebene, vom leise Zurückhaltenden hinaus in laute Betriebsamkeit, vom Maschinellen ins individuell Isolierte, ins traurig Suchende und im Nebel stochernde Unsicherheit, das aus dieser Zeit kommende über Rhythmen tanzende Etwas, aus digitalen Räumen gequetscht, mit Nachhall versetzt, aus Träumen gemacht in zerfließende Melancholien befeuert, aus der Scheise in den Äther strebend, zerkräuselt, auf Ruinen zerfetzt tanzend, pumpend eine Existenz zu entziffern suchend, röcheln, hechelnd dem Sein nahe, in Ignoranz und Dunkelheit abtauchend, sich ablösend in zerfließende Verheerung, schürfend und schroff schnorchelnd.

Verwertungslogik

Ob das in einer gewissen Verwertungslogik steckt, dass Künstler, die einen Vertrag bei Plattenfirmen der Medienindustrie haben oder unter der eigenen Marke veröffentlichen, nach einer gewissen Zeit immer wieder „neue“ Alben „herausbringen“ müssen? Künstlerische Leistung abliefern? Ob sich beim „Verbraucher“ da eine gewisse Gewohnheit heraus bildet, auf die die Industrie zielt?: stets auf dem neuesten Stand sein zu wollen und dafür sich das neueste Album des jeweiligen Künstlers zu kaufen? Auch weil man gemeinsam älter geworden ist? Weil man den ja für alle Zeiten alte Zeiten gut findet? „Früher war alles besser“? Das Kaufen, ja das ist wichtig! Ob Künstlern da neue Sachen eingefallen sind, ob Weiterentwicklungen stattgefunden haben: egal. Hauptsache, was Neues, das „auf den Markt“ geworfen werden kann. So bilden sich beim „Konsumenten“ ganze Stapel voller Tonträger, die unübersichtlich groß werden können und von denen dieser „Konsument“ gar nicht mehr weiß, wieso er sie gekauft hat. Denn Maßstäbe, Hörerfahrungen, Bedürfnisse und Sensibilitäten entwickeln sich weiter. Was mir gestern gefallen hat, muss das nicht heute wieder tun. Vielleicht bin ich sogar richtiggehend entsetzt über meinen gestrigen Geschmack. Klar, die vielen TV-Sendungen, die tief in Nostalgie verwurzelt jetzt die Musikwelt von gestern beschwören, scheinen dem gegenzusteuern. Motto: Erinnern ist schön, verschafft ein wohliges Gefühl. Trotzdem staunen wir manchmal, was „die Leute“ in vergangenen Dekaden angesprochen hat. Was für oberflächlicher Stumpfsinn! Es ist ja nicht im Ernst so, dass gestern alles besser gewesen wäre. Es ist vielmehr so, dass sich bestimmte Zielgruppen dort, in ihrer Jugend, verwurzelt und geprägt sehen, dass alleine das Hören gewisser akustischer Signale bei ihnen Empfindungen/Emotionen auslöst, die eindeutig positiv besetzt sind.

Kritik der Kritik

Mehr aus Zufall, aus einer Laune heraus fange ich an, meine CDs aus anderer Lebenssituation heraus zu hören, gehe sie durch, aus anderer Perspektive, komme zu Schlüssen. Man war im Berufsleben als Journalist zu oft zu schnellem Urteil gezwungen, zu rationalem Handeln (wo man hätte auch mehr Emotionen einfließen lassen sollen), musste gewisse Maße und Vorgaben erreichen, gewisse Formen wahren. Man hätte sich länger einlassen sollen. Bedeutet das, dass meine Beurteilungen, Einschätzungen und Hörfrüchte dann anders ausgefallen wären? Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Vielleicht konnte ich meine Einschätzungen damals komprimieren, schnell formulieren, war zu etwas gezwungen, was sonst nicht meinem Naturell entspricht. Jedenfalls fühlte ich mich keinen Vorurteilen ausgeliefert, war auch Beeinflussungsversuchen wenig zugänglich. Jaja, da war ohnehin vieles für den Augenblick produziert. Prinzip: Pop. Schnelligkeit und manchmal – ja!- Hektik hatte  manchmal auch in meiner Produktion Vorrang vor einer Bedacht, einer inneren Ausgewogenheit, die dem Umstand vielleicht eher gerecht hätte werden können, dass da jemand sich und seine ganze Kreativität investiert hat. So sieht es wenigstens aus heutiger Perspektive aus. Ich höre eine Scheibe aus der Sicht von Heute an – und sie verändert sich noch heute, geschweige denn, dass ich mir noch die Sicht von früher vergegenwärtigen könnte. Meine Sicht der Dinge ganz allgemein glich oft einem Kontinuum, das sich dauernd veränderte und sich Lebenssituationen anpasste. Dadurch kam es leider auch, dass ich als Musikjournalist keine Routinen entwickelte, ich musste ständig neu um eine Einschätzung kämpfen, jede Situation war neu für mich, stellte mir ihre Anforderungen. Und ich? Drückte aus mir heraus, was gefordert war. So gut es eben ging….. 

Kunst- was ist das?

Haha, alten Text über Popsongs gelesen. Da wird im Ernst gefragt, ob sich die Betreffende, die einem mit „wohltuendem Schwachsinn“ zugesetzt hat, ob sie also am Ende sich als Künstlerin erweist. Mir kommt es so vor, als sei der Begriff der Künstlerin oder des Künstlers nicht erst jetzt dermaßen aufgeweicht, dass sowieso niemand mehr weiß, wer oder was das ist….. Abgesehen davon ist es mir subjektiv längst egal, ob etwas künstlerisch wertvoll ist. Objektiv kann ich natürlich alles jederzeit erklären. Künstler? Pah! Und dann ausgerechnet Popmusiker? Deren „Erfolg“ sich mit einem infernalischen Grinsen nach dem Umsatz bemisst? Haha, ich las etwas von „leichter Schläfrigkeit“ und "verträumter Melancholie“: nein, nein, es ging in diesem Falle nicht über Lana del Rey! Das mit der lebensverändernden Kraft eines Songs kenne ich auch, funktioniert bei mir aber wesentlich seltener. Hab’s nicht so im Griff! „Fadenscheinig“ und „abgestanden“ werde der betreffende Song bald wirken. Hm, leider denke und fühle ich das gleich mit, wenn ich den Song zum ersten Mal höre. Ein dreiminütiger Popsong könne halt „seine Geheimnisse nicht ewig bewahren“, so lese ich... Klaro, so denke ich mir. Das liegt am Wesen eines Popsong. Dann geht es um den „Wegwerfcharakter“ von Popmusik und dann langweilt mich das alles, obwohl ein großer Name den Buchumschlag ziert. 

Popismen

Habe ich eigentlich eine besondere Erinnerung an Abba, für die ja jetzt die gesamte Popwelt jetzt zu schwärmen scheint? Ich befürchte, dass sie mir egal waren und ein Inbegriff der klischeehaften Popwelt: Kitschig, verlogen, - allenfalls. Ein Produkt – und kein besonders künstlerisches. Sie scheinen mir jene Mythen zu verkörpern, die die Popwelt immer umspielt hat. Projektionen, Sehnsüchte, Kunstwelten. Wenn sie jetzt als Knattles und alte Damen daher kommen, so heißt das, dass sie auch nur Menschen sind: Wie überraschend! „Dancing Queen“ und all das Zeug: Ohrwürmer, um Geld zu verdienen. Nix Besonderes auf dieser Welt. Wenn man aber die vielen lobhudelnden Geschichten von heute liest, dann waren sie für alle eine Verkörperung der wahren Liebe, des Sonnenscheins von Melodien, des verkitschten Burgjungfrau- und Ritter-Mythos, der schlechtesten und süßlichsten aller amerikanischen Träume in der Folge von Cadillac und Santa Claus.. Musical-Märchen. Irgendwie peinlich fand man das, wollte es sich aber leisten, sich nicht damit auseinander zu setzen. Wer das wollte, der sollte es haben.

 

Musikalische Perfektion“? Wird ja jetzt an Abba immer so gelobt. Für uns damals bedeutete das nichts. Eine Vertonung des Nichts. Sonst nichts. Altmodisches Zeugs. Keine klare Zuspitzung auf ein Thema außer dem der Unterhaltung. Die Herren fummelten an irgendwelchen Instrumenten herum und die Damen in ihren komischen Kostümen machten dazu eine gute Figur – halt in dem vorgegebenen Sinne. Insgesamt stellten sie ungefähr das dar, was heute an zurecht gecasteten Formationen in den Medien nervt. Gefühl, ja das Gefühl an ihnen wurde auch immer so gelobt in früheren und letzten Zeiten. Für mich waren sie das Gegenteil von Gefühl. Für mich waren sie Zuckerstil mit ein bisschen Disco, durch und durch künstlich, von dem, was wir unter Gefühl verstanden, keine Spur. Ein Medienprodukt. 

mehr lesen

Schwebende Soundgespinste

Was ich einst über ein 2012 erschienenes Album mit Ryuichi Sakamoto und Christopher Willits geschrieben habe:  

 

Schwebende Klangpoesie als Geschenk

 

Der Freistilmusiker Ryuichi Sakamoto hat eine neue musikalische Begegnung gesucht.  

Sanft schweben sie herein und breiten sich aus, sie scheinen aus dem Dunkeln zu kommen, um ins Licht zu gehen: Die Stücke des Albums „Ancient Future“ des Duos Christopher Willits und Ryuichi Sakamoto umfangen uns weich, hüllen uns ohne Gefälligkeiten freundlich ein. Sie haben Titel wie „Abandoned Silence“, „I don't want to understand“ oder „Levitation“. Gut getroffen, so denken wir. Tonzusammenballungen, die aus digitalen Klangspendern kommen, aber auch herkömmlich akustisch erzeugte Pianoklänge kräuseln sich dazwischen, um sich selbst kreisend, als Angebot zum Staunen. Die beiden sind zusammen auf einer Art Reise und spielen sich nicht in der Weise die Bälle zu, wie das zuletzt auf dem Album „Flumina“ Sakamoto und Christian Fennesz getan haben, jener Gitarrist und Elektroniker, der Christopher Willits in manchem ähnlich zu sein scheint. Sie verfolgen vielmehr einen anderen Ansatz, betonen mehr das musikalische Miteinander.

Sakamoto hat ja immer wieder die kreative Begegnung gesucht und hat unzählige Male versucht, avantgardistischen Klangexpeditionen aus ihrer Verschlossenheit herauszuführen. Es ist ja ein Grundimpuls seiner Arbeit als Musiker, Produzent, Arrangeur, Komponist, Fotograf und Schauspieler. Er bewegt sich gerne zwischen Welten, nicht als kurzweiliger Gag, sondern als weit gespanntes Motiv. Er hat mit und für Madonna, Brian Wilson, David Bowie, David Byrne und vielen anderen Popgrößen gearbeitet. Er ist als Keyboarder zusammen mit dem Rockmusiker David Sylvian bis an den Rand der populären Musik gegangen und er hat für Bernardo Bertolucci Filmmusik geschrieben, auch für Regisseure wie David Lynch und Oliver Stone. Der heute 60Jährige hat einmal Musik in Tokio studiert und sucht fortwährend eigene Verbindungen zwischen fernöstlicher und die europäischer Musiktradition. Tastend, suchend, immer wieder neu ansetzend seine Einfälle in verschiedene Formen der Kompaktheit packend, sie hineinzwingend in immer neue Formen. Wir können jetzt wieder dabei sein bei einem solchen Versuch. Durch Atmosphären schleichend, durch Stimmungen gleitend, Hörräume behutsam mit Fantasie ausfüllend, dem Freistil zwischen Ambient Music und Avantgarde  Schwingen verleihend. Aus der Stille heraus in die Stille hinein. Eine Vision. Ein Traum. Einfach kompliziert.

 

Christopher Willits/Ryuichi Sakamozo: Ancient Future. Ghostly International

Begeisterung mit Distanz

Wir sind dem unablässigen Beschuss durch kulturelle Versatzstücke ausgeliefert. Etwas steht für etwas. Hat sich verselbständigt. Ist zum industriell geprägten Zeichen, zum auf sich selbst zeigenden Hinweis, zur verkürzten Chiffre geworden. Und dann die Namen! Ghandi steht für Gewaltlosigkeit. Kennedy für die Hoffnung in eine Zukunft. Trump ist eine seltsame Figur, die uns mit ihren Sprüchen und kindlichen Posen aber über die Medien fortwährend untergejubelt wird. Zeichen und Wunder: Der Eiffelturm ist ein Wahrzeichen von Paris. Die Freiheitsstatue soll etwas Wichtiges an den USA zeigen. Die Engelsstatue in Rio de Janeiro... und vieles andere. Ebenso gibt es aber auch musikalische Versatzstücke, die das Gefühl mit des Gehirns Verstand koppeln und eine Art kollektivem Gedächtnis entstehen lassen. Wenn also Freddie Mercury etwas von „Meisterschaft“ jault, wenn Michael Jackson quiekt und sich tanzend ans Gemächt fasst, dann sind das alles Zeichen, Logos, Erkennungszeichen, Auslöser von Reflexen, die sich eingegraben haben in uns. Lionel Ritchie schmalzt „Hello, - it‘s me“, Momente scheinen aufgeblasen zu einem Eindruck, schnulzen sich einer Andeutung von Identität entgegen: diese typisch übertriebenen und fast Comichaft wirkenden Emotionen sehen wir auch von sogenannten Schauspielern in vielen Fernsehfilmen (sie agieren so, dass es jeder kapiert), viele hetzen „Atemlos durch die Nacht“ und lassen der Sängerin ihre Verehrung aber sowas von spüren, dass es kracht. Celine Dio schnulzt in alle Ewigkeit ihr "My heart will go on" und Joe Cocker stöhnt sein woodstockerprobtes "With a little help from my friends". Elton John rührt mit „it‘s a little bit funny“ seinem Song und taumelt tränenreich mit „Candle in the wind“ der Beerdigung von Lady Di entgegen. Er hat den Song gleich mehrfach verwertet, der geadelte Schelm, denn er hat ihn ursprünglich für Norma Jean alias Marylin Monroe geschrieben. Wir reagieren. Wir sehen uns Reaktionsweisen gegenüber. Wir nehmen es wahr und reagieren aus einer anderen Warte, sollen aber gleichzeitig etwas von der Faszination dieser Figur transportieren, sollen ihrer populären Wirkung nachspüren und das dann möglichst begründen. Begeisterung auslösen als Folge einer langen Kette von gesellschaftlichen Mechanismen. Das eine oder andere aufzubrechen und es unter Wahrung der Massenperspektive darzustellen, könnte vielleicht die Aufgabe des Kritikers sein.

Kritik der Kritik

Mehr aus Zufall, aus einer Laune heraus fange ich an, meine CDs aus anderer Lebenssituation heraus zu hören, gehe sie durch, aus anderer Perspektive, komme zu Schlüssen. Man war im Berufsleben als Journalist zu oft zu schnellem Urteil gezwungen, zu rationalem Handeln (wo man hätte auch mehr Emotionen einfließen lassen sollen), musste gewisse Maße und Vorgaben erreichen, gewisse Formen wahren. Man hätte sich länger einlassen sollen. Bedeutet das, dass meine Beurteilungen, Einschätzungen und Hörfrüchte dann anders ausgefallen wären? Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht. Vielleicht konnte ich meine Einschätzungen damals komprimieren, schnell formulieren, war zu etwas gezwungen, was sonst nicht meinem Naturell entspricht. Jedenfalls fühlte ich mich keinen Vorurteilen ausgeliefert, war auch Beeinflussungsversuchen wenig zugänglich. Jaja, da war ohnehin vieles für den Augenblick produziert. Prinzip: Pop. Schnelligkeit und manchmal – ja!- Hektik hatte  manchmal auch in meiner Produktion Vorrang vor einer Bedacht, einer inneren Ausgewogenheit, die dem Umstand vielleicht eher gerecht hätte werden können, dass da jemand sich und seine ganze Kreativität investiert hat. So sieht es wenigstens aus heutiger Perspektive aus. Ich höre eine Scheibe aus der Sicht von Heute an – und sie verändert sich noch heute, geschweige denn, dass ich mir noch die Sicht von früher vergegenwärtigen könnte. Meine Sicht der Dinge ganz allgemein glich oft einem Kontinuum, das sich dauernd veränderte und sich Lebenssituationen anpasste. Dadurch kam es leider auch, dass ich als Musikjournalist keine Routinen entwickelte, ich musste ständig neu um eine Einschätzung kämpfen, jede Situation war neu für mich, stellte mir ihre Anforderungen. Und ich? Drückte aus mir heraus, was gefordert war. So gut es eben ging….. 

Kunst- was ist das?

Haha, alten Text über Popsongs gelesen. Da wird im Ernst gefragt, ob sich die Betreffende, die einem mit „wohltuendem Schwachsinn“ zugesetzt hat, ob sie also am Ende sich als Künstlerin erweist. Mir kommt es so vor, als sei der Begriff der Künstlerin oder des Künstlers nicht erst jetzt dermaßen aufgeweicht, dass sowieso niemand mehr weiß, wer oder was das ist….. Abgesehen davon ist es mir subjektiv längst egal, ob etwas künstlerisch wertvoll ist. Objektiv kann ich natürlich alles jederzeit erklären. Künstler? Pah! Und dann ausgerechnet Popmusiker? Deren „Erfolg“ sich mit einem infernalischen Grinsen nach dem Umsatz bemisst? Haha, ich las etwas von „leichter Schläfrigkeit“ und "verträumter Melancholie“: nein, nein, es ging in diesem Falle nicht über Lana del Rey! Das mit der lebensverändernden Kraft eines Songs kenne ich auch, funktioniert bei mir aber wesentlich seltener. Hab’s nicht so im Griff! „Fadenscheinig“ und „abgestanden“ werde der betreffende Song bald wirken. Hm, leider denke und fühle ich das gleich mit, wenn ich den Song zum ersten Mal höre. Ein dreiminütiger Popsong könne halt „seine Geheimnisse nicht ewig bewahren“, so lese ich... Klaro, so denke ich mir. Das liegt am Wesen eines Popsong. Dann geht es um den „Wegwerfcharakter“ von Popmusik und dann langweilt mich das alles, obwohl ein großer Name den Buchumschlag ziert. 

Popismen

Habe ich eigentlich eine besondere Erinnerung an Abba, für die ja jetzt die gesamte Popwelt jetzt zu schwärmen scheint? Ich befürchte, dass sie mir egal waren und ein Inbegriff der klischeehaften Popwelt: Kitschig, verlogen, - allenfalls. Ein Produkt – und kein besonders künstlerisches. Sie scheinen mir jene Mythen zu verkörpern, die die Popwelt immer umspielt hat. Projektionen, Sehnsüchte, Kunstwelten. Wenn sie jetzt als Knattles und alte Damen daher kommen, so heißt das, dass sie auch nur Menschen sind: Wie überraschend! „Dancing Queen“ und all das Zeug: Ohrwürmer, um Geld zu verdienen. Nix Besonderes auf dieser Welt. Wenn man aber die vielen lobhudelnden Geschichten von heute liest, dann waren sie für alle eine Verkörperung der wahren Liebe, des Sonnenscheins von Melodien, des verkitschten Burgjungfrau- und Ritter-Mythos, der schlechtesten und süßlichsten aller amerikanischen Träume in der Folge von Cadillac und Santa Claus.. Musical-Märchen. Irgendwie peinlich fand man das, wollte es sich aber leisten, sich nicht damit auseinander zu setzen. Wer das wollte, der sollte es haben.

 

Musikalische Perfektion“? Wird ja jetzt an Abba immer so gelobt. Für uns damals bedeutete das nichts. Eine Vertonung des Nichts. Sonst nichts. Altmodisches Zeugs. Keine klare Zuspitzung auf ein Thema außer dem der Unterhaltung. Die Herren fummelten an irgendwelchen Instrumenten herum und die Damen in ihren komischen Kostümen machten dazu eine gute Figur – halt in dem vorgegebenen Sinne. Insgesamt stellten sie ungefähr das dar, was heute an zurecht gecasteten Formationen in den Medien nervt. Gefühl, ja das Gefühl an ihnen wurde auch immer so gelobt in früheren und letzten Zeiten. Für mich waren sie das Gegenteil von Gefühl. Für mich waren sie Zuckerstil mit ein bisschen Disco, durch und durch künstlich, von dem, was wir unter Gefühl verstanden, keine Spur. Ein Medienprodukt. 

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Schwebende Soundgespinste

Was ich einst über ein 2012 erschienenes Album mit Ryuichi Sakamoto und Christopher Willits geschrieben habe:  

 

Schwebende Klangpoesie als Geschenk

 

Der Freistilmusiker Ryuichi Sakamoto hat eine neue musikalische Begegnung gesucht.  

Sanft schweben sie herein und breiten sich aus, sie scheinen aus dem Dunkeln zu kommen, um ins Licht zu gehen: Die Stücke des Albums „Ancient Future“ des Duos Christopher Willits und Ryuichi Sakamoto umfangen uns weich, hüllen uns ohne Gefälligkeiten freundlich ein. Sie haben Titel wie „Abandoned Silence“, „I don't want to understand“ oder „Levitation“. Gut getroffen, so denken wir. Tonzusammenballungen, die aus digitalen Klangspendern kommen, aber auch herkömmlich akustisch erzeugte Pianoklänge kräuseln sich dazwischen, um sich selbst kreisend, als Angebot zum Staunen. Die beiden sind zusammen auf einer Art Reise und spielen sich nicht in der Weise die Bälle zu, wie das zuletzt auf dem Album „Flumina“ Sakamoto und Christian Fennesz getan haben, jener Gitarrist und Elektroniker, der Christopher Willits in manchem ähnlich zu sein scheint. Sie verfolgen vielmehr einen anderen Ansatz, betonen mehr das musikalische Miteinander.

Sakamoto hat ja immer wieder die kreative Begegnung gesucht und hat unzählige Male versucht, avantgardistischen Klangexpeditionen aus ihrer Verschlossenheit herauszuführen. Es ist ja ein Grundimpuls seiner Arbeit als Musiker, Produzent, Arrangeur, Komponist, Fotograf und Schauspieler. Er bewegt sich gerne zwischen Welten, nicht als kurzweiliger Gag, sondern als weit gespanntes Motiv. Er hat mit und für Madonna, Brian Wilson, David Bowie, David Byrne und vielen anderen Popgrößen gearbeitet. Er ist als Keyboarder zusammen mit dem Rockmusiker David Sylvian bis an den Rand der populären Musik gegangen und er hat für Bernardo Bertolucci Filmmusik geschrieben, auch für Regisseure wie David Lynch und Oliver Stone. Der heute 60Jährige hat einmal Musik in Tokio studiert und sucht fortwährend eigene Verbindungen zwischen fernöstlicher und die europäischer Musiktradition. Tastend, suchend, immer wieder neu ansetzend seine Einfälle in verschiedene Formen der Kompaktheit packend, sie hineinzwingend in immer neue Formen. Wir können jetzt wieder dabei sein bei einem solchen Versuch. Durch Atmosphären schleichend, durch Stimmungen gleitend, Hörräume behutsam mit Fantasie ausfüllend, dem Freistil zwischen Ambient Music und Avantgarde  Schwingen verleihend. Aus der Stille heraus in die Stille hinein. Eine Vision. Ein Traum. Einfach kompliziert.

 

Christopher Willits/Ryuichi Sakamozo: Ancient Future. Ghostly International

Begeisterung mit Distanz

Wir sind dem unablässigen Beschuss durch kulturelle Versatzstücke ausgeliefert. Etwas steht für etwas. Hat sich verselbständigt. Ist zum industriell geprägten Zeichen, zum auf sich selbst zeigenden Hinweis, zur verkürzten Chiffre geworden. Und dann die Namen! Ghandi steht für Gewaltlosigkeit. Kennedy für die Hoffnung in eine Zukunft. Trump ist eine seltsame Figur, die uns mit ihren Sprüchen und kindlichen Posen aber über die Medien fortwährend untergejubelt wird. Zeichen und Wunder: Der Eiffelturm ist ein Wahrzeichen von Paris. Die Freiheitsstatue soll etwas Wichtiges an den USA zeigen. Die Engelsstatue in Rio de Janeiro... und vieles andere. Ebenso gibt es aber auch musikalische Versatzstücke, die das Gefühl mit des Gehirns Verstand koppeln und eine Art kollektivem Gedächtnis entstehen lassen. Wenn also Freddie Mercury etwas von „Meisterschaft“ jault, wenn Michael Jackson quiekt und sich tanzend ans Gemächt fasst, dann sind das alles Zeichen, Logos, Erkennungszeichen, Auslöser von Reflexen, die sich eingegraben haben in uns. Lionel Ritchie schmalzt „Hello, - it‘s me“, Momente scheinen aufgeblasen zu einem Eindruck, schnulzen sich einer Andeutung von Identität entgegen: diese typisch übertriebenen und fast Comichaft wirkenden Emotionen sehen wir auch von sogenannten Schauspielern in vielen Fernsehfilmen (sie agieren so, dass es jeder kapiert), viele hetzen „Atemlos durch die Nacht“ und lassen der Sängerin ihre Verehrung aber sowas von spüren, dass es kracht. Celine Dio schnulzt in alle Ewigkeit ihr "My heart will go on" und Joe Cocker stöhnt sein woodstockerprobtes "With a little help from my friends". Elton John rührt mit „it‘s a little bit funny“ seinem Song und taumelt tränenreich mit „Candle in the wind“ der Beerdigung von Lady Di entgegen. Er hat den Song gleich mehrfach verwertet, der geadelte Schelm, denn er hat ihn ursprünglich für Norma Jean alias Marylin Monroe geschrieben. Wir reagieren. Wir sehen uns Reaktionsweisen gegenüber. Wir nehmen es wahr und reagieren aus einer anderen Warte, sollen aber gleichzeitig etwas von der Faszination dieser Figur transportieren, sollen ihrer populären Wirkung nachspüren und das dann möglichst begründen. Begeisterung auslösen als Folge einer langen Kette von gesellschaftlichen Mechanismen. Das eine oder andere aufzubrechen und es unter Wahrung der Massenperspektive darzustellen, könnte vielleicht die Aufgabe des Kritikers sein.