Im Supermarkt der Popmusik

Ich bin immer noch stark interessiert daran, was mir als Popmusik begegnet. Unbedingt! Ich würde so gerne etwas finden, was mir entspricht, was mich anspricht. Doch bei den neueren Produktionen habe ich zu oft den Eindruck, dass sie sehr marketingtechnisch produziert sind und es zu trivial direkt auf Zielgruppen abgesehen haben. Dazu kommen dann oft auch Klischees und Phrasen zum Einsatz, die längst ausgesaugt sind. Komisch, dies scheint mir auch den Bereich des Jazz zu betreffen, obwohl da für mich eher etwas zu holen wäre. Was ich vermisse, sind die Originale, die „Urviecher“, die quasi aus sich selbst heraus etwas so machen, wie sie es machen. Die ihren Antrieb aus sich selbst holen und nicht aus dem neoliberalen Versprechen, möglichst viel daran zu verdienen, bestimmte Leute möglichst anzusprechen. Ich gebe es zu: es hat sich mir in den letzten Jahren eine Art Unbehagen eingestellt, eine Art Misstrauen, dass darauf zurückzuführen ist, dass ich viel zu oft das Gefühl hatte, es mit einem Produkt oder Artikel zu tun zu haben. Wenn ich daran denke, was mich einst und wie es mich geprägt hat, dann komme ich mir wie in einem Supermarkt vor, in dem ich mir nahezu alles kaufen kann und gleichgültig bleibe. Ich wähle aus, lasse kommen und - wichtig! -  bezahle! Ich hatte lange - bis jetzt! - schon aus Berufsgründen die einschlägigen Zeitschriften und Magazine gehalten. Durch sie hatte ich über die Zeit gesehen so manche Anregungen erhalten, war neugierig gemacht worden, bin einer Spur nach gegangen. Mittlerweile fällt mir nach Erhalt durch die Post alleine schon das Auspacken aus der Klarsichtfolie schwer. Ich traue denen nicht mehr. Zu oft haben sie mir eine Sau durch das Dorf getrieben, die kurz danach absolut vergessen war, die ihren speckigen Glanz vollkommen verloren hatte. Komischerweise und nicht im Sinne des Erfinders war das auch bei dem der Fall, was sich mir als „alternativ“ und „anders“ präsentierte. Solche Markenartikel will ich mir nicht mehr merken, die mir etwas versprachen, was sie dann nicht halten konnten.  

Der Überschreiter

Habe unlängst etwas gelesen über Elvis Costello, etwas Belustigtes dergestalt, dass man seine zuletzt arg bemühten „Werke“ ja nur noch mit Kravatte habe genießen können. Ja klar, er hat etwas mit der Sängerin klassischer Musik, Anne-Sofie Otter gemacht, er hat Ballettmusik veröffentlicht und sich unter anderem an intimen Balladen und Countrymusik in amerikanischer Machart versucht. Was ich aber immer an ihm geschätzt habe und womit er mich gewonnen hat, war, dass er dabei gut hörbar alles gegeben hat, dass er versucht hat, etwas Überraschendes aus sich heraus zu holen und seinen eroberten Pophorizont zu überschreiten, als einer, der versucht hat, über sich selbst hinaus zu gehen und das als „heißes Bemühen“ hörbar werden zu lassen. Ja, er hat sich der bürgerlichen E-Musik-Kultur angedient, aber man hatte oft den Eindruck, dass er sich dabei nur der Möglichkeiten bediente, die sich ihm dadurch eröffneten, dass er sich auf anderen musikalischen Feldern versucht hatte. Den ursprünglichen Punk, der etwas von sich selbst nach außen schleudern wollte, schien er dabei stets mit und in sich getragen zu haben.... So schien es jedenfalls mir...

Dass er sich jetzt mit dem Album „The Boy named 2“ an die ungehobelten Krächzer, Nöler und Schluchzer seiner punkbeeinflussten Anfangszeit erinnert, nahm der feine Herr Medien-Autor mit Erstaunen zur Kenntnis, wobei es mir erscheint, als könne Elvis Costello dies nur vor dem Hintergrund seiner breiten Experimente, in die er jeweils seinen subjektiven Ausdruck einzubringen versucht hat. Jetzt, im vorgerückten Alter, scheint er diesen unsentimentalen Blick zurück riskieren zu können, jetzt scheint (!!) er unbefangen spielen zu können, jetzt scheint er noch (oder wieder?) das Feuer zu spüren, das ihn einst getrieben haben mag. Soll ich erwähnen, dass ich solches Suchen im Experiment, im Ungestümen, von der heutigen „Szene“ vermisse? Allenfalls scheint noch das professionelle Vorführen des „Gekonnten“ angesagt, das eitle Posieren und Vorführen der scheinbar (weil von einem breiten Kollektiv in anonymer Könnerschaft realisierten) Möglichkeiten sich zu erschöpfen. 

Beim Hören

Ich notiere beim Hören: Steely Dan geht immer noch in mich über, drückt mich aus, in fein artikulierten Tönen, in jenem blümerant zurück gelehnten Pessimismus, der damals in mir war und jetzt noch ist, völlig unzeitgemäß woanders herkommend, von dem auch her kommend, was damals als „cool“ oder "hip" galt und doch viel zeitloser war. Dieser Musik war es nicht wichtig, „Stars“ zu gebären. Nein, sie machte sie sich zunutze und fügte sie ein in ihr Konzept, in ihre Vision. Walter mag gestorben sein. Aber es ist schön und inspirierend, dass wir diese Musik noch auflegen können und sie nicht wie ein Zitat aus weit entfernten Zeiten klingt. Auch dafür strengten sich die beiden mächtig an. Diese Musik führte Überraschungen geheimnisvoll um ein Eck herum, war im Flow und entbot uns glitzernde musikalische Edelsteine. Auch heute noch, trotz zeitgeistiger Einordnung in das „Classic Rock“-Format! Wie sie sich entwickelt hat, diese Musik! Es war damals alles so sehr in Bewegung, dass wir alle sehnsüchtig auf das kommende Album von Steely Dan warteten. Ob Donald jemals so gesungen hat, wie man das heute als „gekonnt“ bezeichnen würde? Ob er bei „Deutschland sucht den Superstar“ eine Chance hätte?

Selbstverständlich weiblich

Komisch, was mir jetzt auffällt: Ich hatte fast immer über die Künstlerinnen und ihre Hervorbringungen geschrieben. Über das weibliche Geschlecht und seine Kunst. Dessen war ich mir aber nicht bewusst. Ziemlich unbewusst nämlich hatte es sich so ergeben, dass fast immer ich derjenige war, der sich mit den Frauen in der Popmusik beschäftigte und zu beschäftigen hatte, insbesondere mit Singer/Songwriterinnen. Da ich alles annahm, was kam, war mir das recht. Ein Auftrag mehr. Ausnahmen waren persönliche Vorlieben meiner fest bestallten Auftraggeber oder ein übergroßer, sich in Besucherzahlen äußernder „Erfolg“, der offenbar eine gewisse journalistische Bearbeitung notwendig machte. Dabei hatte ich mich schon vor meiner Zeit als Schreiberling für Künstlerinnen und ihre Hervorbringungen interessiert. Joni Mitchell zum Beispiel hat mich nachhaltig beeindruckt und beeinflusst. Aber auch Rickie Lee Jones. Mir war damals einfach nicht klar geworden, dass das Geschlecht eine Dimension sein könnte, anhand dessen man Rockmusik beurteilen könne. Mich interessierte eigentlich nur, was ich für gut oder schlecht hielt, was originell oder kreativ war. Was für etwas stand. Gelegentlich mal kam es mir unter, dass ich das "spezifisch Weibliche" darin suchte, je nach geistiger Beschäftigung zum jeweiligen Zeitpunkt. Doch die Männer scheinen mir in puncto „Anpassungsfähigkeit“ um nichts den Künstlerinnen nachzustehen. Freilich war dies nichts, was mich heftig umtrieb. Rockmusik war für mich etwas Selbstverständliches, über Ethnien und Geschlechter hinweg. Mittlerweile scheint sich mir wieder ein starker informeller Impuls eingeschlichen zu haben, auch ein Aufwachen unter dem Stichwort „Me too“, das mir aber allzu sehr mit seiner Gegenbewegung korreliert. Es scheint mir Übertreibungen zu geben. Meine damals verlorene „Unschuld“, die Auffassung als „Selbstverständlichkeit“, scheint mir als Möglichkeit im derzeit herrschenden allgemeinen Diskurs verloren gegangen zu sein.

Mach's nochmal, Joe!

Unzählige Live-Konzerte habe ich von ihm besucht, ich weiß gar nicht mehr wie viele: Joe Jackson. Natürlich war er auch eingebunden in die Kreisläufe der Musikindustrie, musste dauernd neue Alben abliefern. Aber genau das bewunderte ich am Anfang an ihm: dass er jedes mal etwas anderes, etwas neues anbot. Dass er immer wieder neu klang, sich neu erfand, sich an anderen Genres ausprobierte. Nun, wenn ich mir das genau überlege, so erfand er seine Musik ständig neu, blieb sich selbst aber treu. Während „The long Song“ gab er stets alles, blähte sich ungeheuer auf und tat so, als könne er singen. Er neigte da zur Selbstermächtigung, denn im klassischen Sinne konnte er ja gar nicht singen. Er konnte aber alles geben, alles in seine Interpretation, in den Moment rein legen. Seine Halsschlagader schwoll dann, er wurde rot im Gesicht. Er neigte dann zu seiner Form der Selbstermächtigung, wollte Beifall und Liebe für sein Ego, wobei er dann aber auf dem nächsten Album untertauchen konnte in den Strudel einer völlig neu gearteten Musik, er machte sich an klassisch tönende und mit Geigen samt Gebläse intoniertem Zeug heran, er verwandte oft knitz eingesetzte Percussion, für die oft Sue Haedjopoulos verantwortlich war („Night an Day“), er integrierte die Synthesizerwelt und setzte seine Band ständig neu zusammen, wobei es eine Konstante gab: Graham Maby war/ist ein toller Bassist mit Groove und viel Einfallsreichtum, der ihn im Kreise verschiedener Bands sehr oft begleitete. Am Ende schien er bei wenig aufwendig mit Klavier instrumentierten Stücken zu landen, in die er live auch manche Coverversionen einstreute. Das wirkte so, als wolle er vom in der Jugend überhöhten Ego etwas absehen und auf andere Künstler zu verweisen, deren Klangwelt er selbst schätzte. Natürlich gab es da immer wieder direkte und indirekte Verweise auf Steely Dan. Er interpretierte aber auch Sachen von Bowie. Er konnte das souverän und mit einem ironischen Seitenblick tun. Joe Jackson hatte ja sein Standing längst. Vom Punk der Anfangszeit war er zum bewunderten Kulturdenkmal geworden.