Gitarrenschlieren

Dies ist das Ergebnis einer Begegnung mit nur 3 Titeln von Bill Frisell: Wunderbare Schlieren ziehen durch mein Zimmer. Es umschmeichelt mein Ohr, zieht lyrische Fäden und Bögen ein. „Have a little faith“. Ich verfüge hier über ältere Titel, die in Zeitlosigkeit baden. Seine Gitarre klingt elektrisch, mit ihr formt Bill Frisell Tonzusammenhänge, Luftgespinste, die die Phantasie reizen und ihr Raum geben für Gefühle, für seltsame Erkundungen. Er streichelt die Gitarre, entlockt ihr geformte Skulpturen aus Klang, man ist fortwährend gespannt, wie das weiter geht….gelegentlich auch aus scheinbarer Verwirrung heraus. Er nimmt so viel mit, lässt es anklingen, spielt damit. Manches kommt aus seiner Folklore, formt offenbar das, was auf sein Gehirn hernieder gekommen ist. Er hat es aufgenommen und spielt es bei Gelegenheit aus, mit Respekt, Einfühlsamkeit und Einsicht in das kollektive Gedächtnis der Leute. Da gab es so vieles, was ihn auf allerlei Arten beeinflusst haben mag. „Blues Dream“, „What do we do?“ gleitet dahin, nimmt mich mit, ich darf dabei sein und ihm bei seinen Andeutungen folgen. Er kommt ja aus dem Jazz-Ghetto, gab den Avantgardisten und spielt schon lange mit den Dimensionen seiner Gitarre. Alles blitzt auf und wird gebogen, angeglichen an seine Vorstellungswelt, kommt aus ihm.  

Frau Lammkotlett

Auszug aus meinem Buch „Zuhören“, das auch Besprechungen einiger von mir besuchter Konzerte bringt. Am Sound der folgenden Band hing ich lange Jahre, ich verdaute das in meinem Empfinden und meinem Hirn, bezog es in mich ein, lebte damit:

Was ich gerade höre?“: Mit dieser Frage hatte ich viele meiner derzeitigen Blogs

eingeleitet, was von Anfang an so geplant war. Ich wollte das, was mich beeinflusst

hatte, auf diese Weise streifen und es manchmal sogar wiederentdecken. Die

Produktionen, die mich und mein Weltbild beeinflusst haben. Zum Beispiel dieses

Album: Lambchop „Is a Woman“. Das Album war immer bei mir, seit es 2002

erschienen ist. Ich hole es oft hervor. Ich lasse mich in diesem Gefühl gehen, lasse

mich an den CDs entlang schlendern und irgendwohin zugreifen. So, wie mir der

Sinn steht. Oft greife ich dann zu Lambchops „Is a Woman“. Dies Album scheint eine Art

mittel- und langfristiger Stimmungslage wiederzugeben, die mir noch immer sehr gemäß ist.

Ist es melancholisch? Nein, eher lakonisch. Es ist ein undramatisches „Vor sich hin

stammeln“, gebettet auf weichen Klängen, die sanft ineinander fließen, ohne sich

damit jemals anzubiedern. Es ist eine Art „realistischer Musik“, die in sich versunken

ist: „Nothing much to bark about...“. Da ist keinerlei Imponiergehabe. Kein

aufdringliches Vorführen oder Verkaufen von etwas. Ich liebe alleine schon diese

Haltung.

Es ist eher eine Art persönlicher Brief, eine kreative Mitteilung. Wie in einer weichen

Trance haucht der Wagner da seine Texte vor sich hin, ein Monolog, ein

Selbstgespräch. Poetisch? Klar. Aber was heißt dies Wort schon? Es ist inzwischen

völlig entwertet. Kurt Wagners Worte aber helfen der Phantasie auf die Sprünge, ganz

sachte, ohne jene Agressivität, die so manch anderen Sprechgesang auszeichnet. Das

braucht er nicht. Er scheint seiner Umwelt, - und scheint sie ihm noch so feindselig

zu begegnen, - so etwas wie seine Liebe entgegen zu bringen. Seine Texte sind

manchmal weitschweifig, nehmen Träume und traumhafte Situationen auf, sind in

sich verwoben, gehen einem wie mir seltsamerweise nicht aus dem Sinn. Dazwischen

fließen ein paar elektronische Einsprengsel beiläufig hindurch, untendurch. Schon,

wie er im ersten Titel „The daily Growl“ anhebt: „“Thought, I felt a chill, thought an

underrated Skill, a hazard to the emotionally challenged...“. Ich bin da sofort drin, sie

umfangen mich, diese Zeilen, sie geben Trost und Anregung, sei entfernen sich

wieder, sie haben eine eigene Dynamik.

Sie sehen aus einem regenverhangenen Fenster interessiert auf die Welt. „Gentle

Revolution“, diese Wendung kommt dann noch bald hinzu. Ich sehe den Sänger, -

vielmehr: die Stimme - Kurt Wagner, den ich tatsächlich einmal live erlebt habe, dazu

mit seinem Hut. Unter seinem Hut. Schmucklose Verse, weit entfernt von jener

Helene-Fischer-Welt, die die Musikindustrie mit allen ihren Tricks den Leuten da

draußen so munter andient. Sind Lambchop, jenes Künstlerkollektiv aus Nashville,

eigentlich ein bisschen verschwunden? Fast scheint es aus heutiger Sicht so. Aber es entspricht jener Rolle, die sie da mit „Is a woman“ und anderen Alben so wunderbar angedeutet haben. Ein Phantom, von dem man nix Genaues weiß. Lambchop war ja auch eine Band mit wechselnden Mitgliedern, ohne Stargesichter, ohne lächelnde

Verkaufsflächen. Eher ein Spiegel, mit der Möglichkeit unseres Selbst. In die Band

Arcade Fire wurde zb. auch so etwas hinein projeziert. Lambchop sind da

meiner Meinung nach aber viel näher dran.

Noch im Jahre 2002 schrieb ich über einen Auftritt von Lambchop: „Kotelett, serviert

auf doppeltem Boden“ - Lambchop in der Manufaktur in Schorndorf - Wieso soll das

Lammkotelett eine Frau sein? Eine Frage, die uns bewegt, seit Lambchop ihre neue

CD "Is a Woman" auf die Welt gebracht haben. Allein die Antwort, sie ist und bleibt

das Geheimnis von Kurt Wagner, des Sonderlings aus Nashville, der als Sänger und

Songschreiber diese wunderbare Platte so maßgeblich geprägt hat. Es wohnt noch so

manches andere Geheimnis in Lambchop, jenem Kreis von Musikern, die einem

normalen Tagesberuf nachgehen und abends ihren musikalischen Ideen einen weiten

Auslauf gewähren. 17 waren sie, als sie mit der CD "Nixon" einer seltsamen Figur

der jüngeren US-Geschichte nachspürten und dabei eine verschrobene Fusion aus

Country und Soul auf die Beine stellten. 17 Musiker waren sie auch, als sie "Is a

woman" jenen völlig intim wirkenden Rahmen gaben, der lauter schräge und

auseinander strebende Elemente so überzeugend zu einer Einheit fasst. Und jetzt

versammeln sie sich zu acht um jenen bebrillten Kauz in der Bühnenmitte, der auf

einem Stuhl sitzend seine eigentümlichen Verse krächzt. Würden sie es schaffen, die

in sublimen Klangfarben schillernde Atmosphäre der Platte auf die Bühne zu

übersetzen? Nicht nur diese Frage, sondern auch die Medienresonanz auf die CD

mögen bewirkt haben, dass die Manufaktur in Schorndorf an diesem Abend bis auf

den letzten Platz gefüllt ist.

"Down the street you go, rumors of a one man show, how silly we can be about the

future...": jene Stimme, sogleich durchsticht sie den Song "Daily Growl" so mit ihren

scharfen Betonungen und einer Sehnsucht, dass er geradezu zu einem Menetekel

wird. Für alltäglich schlummernde Abgründe? Für fremde Zusammenhänge, die uns

die Orientierung nehmen? Es bleibt im Geheimnis. Dieser Gesang, der ja in seiner

whiskeygeschwängerten Knarrzigkeit viel von einem dramatischen Erzählen hat, er

gleitet nun dahin auf einem instrumentalen Film, in dem das Piano mit seinen

weichen Harmonien die Führungsrolle spielt. Vom Barjazz mag da manches kommen,

von einer Kammermusik des wilden Westens und vom lyrischen Plüsch längst

vergangener Radiotage. Das Schlagzeug streichelt sachte die Felle und der Bass setzt

leise Akzente, künstliche Aufgeregtheiten sind verpönt.

Darüber schillern die Gitarren in allerlei Farben, schrammeln in braver Gleichmut die

Akkorde, schwelgen in gläsernem Vibrato, verlieren sich in digitalen Räumen und

kreischen auch mal scharf. Hinter alldem tut sich ein unauffälliger Kosmos der

elektronischen Geräusche auf, ein Gurgeln, ein Schleifen, ein Quietschen und

Quetschen, das dem Ganzen eine unwirkliche Atmosphäre gibt und die scheinbar

disziplinierte Harmonie fortwährend in Frage stellt. Die Arrangements sind genau,

selbst das seltsame Saxofon-Riff von "The new cobweb summer" und die spitz

gefistelten "Ah ah"-Chöre fehlen nicht.

Eine feine Doppelbödigkeit durchzieht diese Musik, deren Entwurf von der Platte

tatsächlich kongenial auf die Bühne übersetzt ist, ohne in eine feierlich verkrampfte

Kunstanstrengung zu verfallen. Im Gegenteil: zwischen den Songs geht es lustig zu,

der Pianist Tony Crow erzählt Witze, während der freundliche Biertrinker Kurt

Wagner eine Zigarette nach der anderen qualmt. Am Ende sind die zwei Stunden wie 

ein Traum vorübergezogen, unwiderstehlich, intensiv, anrührend.“

Stars without faith

Ich habe das in Interviews oft erlebt: gewisse „Stars“ glauben irgendwann an den Mythos, den das Showgeschäft rund um sie erschuf. Auch die Sphäre der Politik scheint dem zu folgen. Sie glauben, sie seien die Besten, die Kreativität selbst, die Erleuchteten, die den „Normalen“ weit enthoben seien. Sie lassen gerne mal auf sich warten, lange, länger, sie folgen ihren „göttlichen“ Eingebungen und schenken ihre Gegenwart, wann es ihnen beliebt und oft nicht, wann es ausgemacht oder angekündigt war.….. Ihre komplette Umwelt der Speichellecker aus der Entourage und den Medien versichert ihnen „ihre Größe“ jeden Tag und immerzu. Sie geben sich als die Auserwählten, für die andere Maßstäbe gelten als für Leute wie etwa ihr „Publikum“ (das es zu bearbeiten gilt) aus dem „Fußvolk“. Die Menschen glauben ihnen das, weil es oft genug und als einzige Wahrheit dargestellt wurde, weil es in den Medien planmäßig als „Image“ aufgebaut wurde. Und dann wiederholen diese Stars diese Lüge ganz selbstverständlich in Bezug auf sich selbst: „Selbstlüge to go“. Bei Popstars kommt hinzu: das Publikum kommt oft in breiten Massen und scheut keine Kosten, um sie live zu „erleben“, von ihrer Gegenwart ergriffen zu sein, sie zu bewundern, sie anzubeten in einem quasi-religiösen Sinne. Auch so etwas mag den seltsam verfremdeten Glauben an sich selbst deutlich zu heben. Seht her, ich bin eine Messias-Gestalt! Ich erlöse euch und zeige euch den Weg! So etwas gab es in Deutschland schon einmal. Eigentlich, so vermute ich nur, müsste man hier skeptischer sein!

Frühwärts

Ich räumte der Macht der Musik schon früh in meinem Leben eine große Macht ein. Schien sie mich anfangs mehr oder weniger unbewusst zu beeinflussen, so wurde sie mir erst in der Folge sogar als ein vermeintliches Instrument der Annäherung an das Göttliche bewusst. In der Jugend. Dem Absoluten und ganz Großen galt es auch dem Zeitgeist gemäß näher zu kommen. Also improvisierte ich in mich hinein und hinaus. (Ich wählte keine formale Ausbildung z.b. an einer Hochschule, schien einem romantischen Ideal nachzuhängen, einer „freien“ Entfaltung meiner kreativen Kräfte und nicht der Verbiegung und Verbildung, einer Umlenkung und Gestaltung eben dieser Kräfte) Mit der Zeit wurde ich mir aber meiner pragmatisch begründeten Begrenzung bewusst und begrub dadurch immer mehr „den hohen Anspruch“, der wohl auch der Jugend und dem Zeitgeist geschuldet war. Ich war danach ganz offensichtlich unfähig, mich und meine Musik zu verkaufen, sie anderen Leuten irgendwie nahe zu bringen. Die Gesellschaft trat mir mit ganz anderen Ansprüchen gegenüber. Es ging ins Nichts. 

Text und Musik

Es war eine Art Verhöhnung des Textes, was ich mir da mit meiner Musik vorgenommen hatte, damals. Eine Distanzierung davon, den Text als eine Art Verkürzung zum lyrischen Gebrauchsmaterial zu deuten. Ich hatte durchaus wahrgenommen, dass in meiner Umwelt (besonders englischsprachige) Texte keinesfalls verstanden oder nachvollzogen wurden, sondern stets eine Art Platzhalter für etwas Individuelles unter Verwendung möglichst vieler „Keywords“ waren. „Liebe, Triebe, hey und ah“. Das alles, diese Mechanismen wollte ich ironisieren, indem ich solche Keywords oder Basisreize meist als handhabbare Samples (schneiden, verkürzen, verfremden, zerlegen, bearbeiten) gebrauchte und sie auch oft zertrümmerte, in ihre vokalen Bestandteile zerlegte, um sie in meinem Sinne zu manipulieren und indem ich sie auch manchmal als Geräusch, als puren Ton anstelle eines bedeutsamen Textes einbrachte. Als Journalist war es für mich auch eine Art Alltagserfahrung gewesen, dass man Text und Wort in beliebige Richtungen manipulieren konnte, dass man ihn verlängern, verkürzen oder paraphrasieren konnte. Dass man durch ihn gezielt Reize auslösen konnte, dass man ihn letztlich als Füllmaterial zur Profilierung einer meist im Vordergrund stehenden Gesangsfigur im Vordergrund einsetzen, gebrauchen, missbrauchen konnte. Ich hatte mein eigenes Konzept dann auch durchgehalten, was ein Fehler war, denn meinem Konzept wollte niemand folgen. Emotional schon gleich gar nicht. Die Verfremdung von etwas Vorgegebenem zu etwas Anonymem war offenbar zu viel, war in seinen Intentionen nicht schnell erkennbar (was heutzutage unbedingt gefordert ist). Möglicherweise hätte ich dazu zurückkehren sollen, konventionelle Songs samt dem mechanisch „passenden“ emotionalen Ausdruck zu produzieren. Zudem machten es offenbar stilistische Grenzüberschreitungen mit Flöte und Saxophon schwierig. Mein Konzept war offenbar zu abstrakt.