Wohl habe ich „Electric“, das Album von Richard Thompson, unzählige mal gehört. Und immer wieder lege ich es auf. Es kommt mir vor, - und ich schäme mich nicht, dies zuzugeben - wie ein Wunder. Wieso komme ich aus dieser CD nicht heraus? Wieso eigentlich muss ich sie immer und immer wieder auflegen, ich hartgesottener Knochen? Wieso offenbart dies Album mir immer neue Details? Wieso kommen mir bei manchen Stellen geradezu die Tränen? Was zieht mich da so magisch an? Der Mann hat einst bei Fairport Convention Bahnbrechendes geleistet, hat Folk und Rock zusammengeführt, britische Renaissancemusik und Beat vermählt. Er hat damals in den späten Sechzigern Stimmungen per Gitarre gezaubert, er hat diese große Sängerin Sandy Denny begleitet und auch den Songpoeten Nick Drake. Jedes Album von Fairport war eine Abenteuer. Und dann immer dieser unglaublich flinkfingrige Gitarrist! Jigs and Reels in famoser Präzision, ein John McLaughlin der Folkmusik, so dachten wir damals. Schnelligkeit. Technische Fertigkeit. Ausdrucksstärke. Er war so unglaublich präsent im Understatement. Einer für Kenner. „What we did on our Holiday“, „Unhalfbrickling“, „Liege and Lief“ - was für Alben!! Aber die Rockmusik als Ganzes war ja damals noch ein Abenteuer.
Später Split und Solokarriere, die er eine ganze Weile auch im Duo zusammen mit seiner damaligen Ehefrau Linda Thompson verfolgt. Das gemeinsame Album „Shoot out the Lights“ von 1982 war für seine Verhältnisse sogar ein kleiner Verkaufserfolg. Es folgte ein Leben in der muslimischen Gemeinde in London, auf dem Cover des Albums „Pour down like Silver“ hatte er einen Turban auf. Seine Songs waren stets erlesen und tief! Gleichzeitig ist er Fußballfan und Anhänger von Chelsea. Das war es immer schon, was an ihm toll war: das bäuerisch Bodenständige zusammen mit dem filigran Kunstsinnigen! In einer einzigen Person. Genau wie bei Sandy Denny!!
Er war immer ein Suchender und wir durften über viele Jahre hinweg dabei sein, ihm zuhören. Man las oft die Texte nach, - alleine schon seine Texte waren inspirierend toll. Tiefer als die anderen Rocktexte. Er ist ein Eigenbrötler, einer, der seinen Weg suchte und ihm als Songpoet musikalischen Ausdruck gab. Headliner war er nirgendwo, Sieger und Hitproduzent auch nie. Ein Poser sowieso nicht. Aber unglaublich gut als Musiker. Außerdem eher scheu und schüchtern, woran er seit seiner Jugend arbeitete. Immer mal wieder spielte er zusammen mit Danny Thompson am Kontrabass (das gemeinsame Album „Industry“ von 1997 hat sogar sehr neutönerisch freie Momente), mit Dave Mattacks, dem Schlagzeugkumpel von Fairport und sehr gefragten Studiomusiker, mit Dave Pegg am E-Bass, der für eine Weile auch den Job bei Jethro Tull übernommen hatte, zudem Simon Nicol, der großartige Gitarrist: alle spielten sie in seinen Bands und auf seinen Alben. Aber er hat sich nie festgelegt, wechselte dauernd aus. Er war stets ein Suchender, Virtuose wollte er sowieso nie sein, obwohl er zusammen mit den damaligen Gitarrengöttern Steve Morse und Al Di Meola eine Deutschland-Tournee absolvierte, später kam auch noch David Lindley dazu. „Die waren ja so gut“, meinte er damals bescheiden, „Morse spielt ja doppelt so präzise wie ich“. Morse konnte alles, gewiss, aber Thompson hatte immer schon eine ganz eigene gitarristische Sprache. Während die anderen alle Phrasen beherrschten, klangen seine Soli immer, als suche er für jedes Solo die Töne und kämpfe neu um sie. Clapton, Beck und Page spielten vom Blues beeinflusst. Thompson nie.
Er kam vom britischen Folk, von der Renaissancemusik, von sich selbst. Er ließ sich in kein Klischee pressen, produzierte ruhige, unaufgeregt melancholische Sachen für das Feuer am Kamin, wo die anderen das Rampenlicht suchten. Technischer Overkill war nie seine Sache. Ein ständiger Untertreiber ist er. Klar, dass so einer keinen Erfolg im Showgeschäft hat! Aber der Liebling der Musiker und der Kritiker war er immer. Wer Ohren hatte, hörte bei ihm nur Raffinesse, Erfindungsreichtum, Ausdrucksstärke und diesen eigenen Ton an der Gitarre, dem man mit Haut und Haaren verfallen konnte. Experimente gab es viele , mit Drehleier, Dulcimer und Mandoline auch, „Hokey Pokey“, - was für ein Musiker!
Aber auch seine Lyrik: die spirituelle Suche, die ironischen Fragen, der hintergründig feine Humor, der Blick in die Abgründe, die weitgehenden Spekulationen und all die anderen bitteren Zitronen, die seine Songs durchzogen: auch das nicht gerade Stoff für die Hitparade! Auf dem Album „Amnesia“ gab er sich im Clownskostüm und in „Jerusalem on the Jukebox“ heißt es „At poolside picnics they chant for Ferraris and Furs, their muscle-tone sharpens but their hold on reality blurs....“. Ach, wir liebten ihn dafür!. Für „I still dream“, für „Can't win“ und für all diesen anderen wunderbaren Stoff. „They said, you can't win, you sweat blood you give in...“. Jaja, das Herzblut, das floss genügend in seinen Songs! „We harpoon dreams, we stiletto in the back, the Nerve of some People...“. Wie sich das einprägte und einmeißelte ins Gedächtnis! Wie das brannte!
Ende der achtziger Jahre spielte er mit John French, Fred Frith und Henry Kaiser zusammen: mal etwas ganz anderes! Kommerziell völlig abseitig!. Ihm war's egal und wir gerieten in Euphorie.
Dann kam das Ende seiner Ehe, das Übersiedeln in die USA und die Arbeiten mit Mitchell Froom als Produzenten. Auf dem Album „Amnesia“ hatte gelegentlich schon der etwas härtere Ton die Rhythmusfraktion getrieben, auch Jim Kelter am Schlagzeug bemühte sich da um Klarheit, obwohl Mickey Curry für den harten Punch zuständig war. Tony Levin auch, Jerry Scheff, Fred Tackett, Alex Acuna, es kamen sodann die „Tribute“-Alben „The world is a wonderful Place“ (1993) und „Beat the retreat“ (1994) mit den Beiträgen von R.E.M., Bob Mould, Bonnie Raitt, Dinosaur Jr. und vielen anderen großen Namen – Thompson war endgültig ein Säulenheiliger der Rockmusik geworden. Von Plattenfirmen wie Polydor oder Capitol wurde er trotzdem gefeuert. Mit den alten Kumpels von Fairport und deren wechselnden Besetzungen traf der Mann mit der Baskenmütze sich seit 1990 jedes Jahr beim „Cropredy“- Festival in England. Ursprünglich zweitägig, dauert es seit dem Jahr 2000 drei Tage und zieht regelmäßig eine fünfstellige Zahl von Fans an. Im Jahr 2003 zog er seine „1000 Years of popular Music“- Produktion als Doppel-CD/DVD durch: von uralten Stücken wie „Sumer is icumen in“ (1000 n.Chr.) bis hin zu einer mittelalterlich klingenden Version von Britney Spears' „Ooops I did it again“. Dazwischen Songs von Henry Purcell, Cole Porter, Lennon/McCartney, Ray Davis, Pete Townsend, Prince und vielen anderen. Schluss mit dem Name-Dropping! Ihm selbst wäre es ohnehin nur peinlich. Er braucht das ohnehin nicht.
Seit 2000 gab es von ihm immer wieder hervorragende Arbeiten, großartige Alben, fantastische Songs, Auftritte für Joni Mitchell und Bonnie Raitt, Elvis Costello und viele andere, Studioarbeit für Cat Stevens und andere. Er hat dabei stets das Populäre Bodenständige mit dem feinsinnig zurückhaltenden verbunden. Aber jetzt, der Schocker: er wolle eine Art Funk Folk machen, etwas wie Jimi Hendrix Experience, egal, ob die Welt dafür bereit sei, lässt er verlauten. Taras Prodaniuk, Bass und Michael Jerome, Drums, die langjährigen Begleiter sind dabei. In Buddy Millers Haus in Nashville wird aufgenommen in kürzester Zeit. Miller war ja selbst Gitarrist bei Emmylou Harris und ist längst zu einem der bekanntesten Musiker der Americana-Szene aufgestiegen. Und jetzt hat Thompson in „Electric“ all die Zerissenheit und Zerschossenheit dieser Welt in leidenschaftlicher Melancholie aufgehen lassen, aufgeladen mit Gebrochenheit und überführt in Selbstverständlichkeit, mit dieser trocken schneidenden Gitarre und seiner herben spröden Stimme. Ein paar gängige Riffs hat er für sich selbst frisiert, keine Phrase ist um ihrer selbst gespielt oder soll um ihrer selbst willen zeigen, wie gut er als Gitarrist ist: das war noch nie sein Ding.
Es ist auch ein Album für die, die genug haben von den Castingshows und jenen Schönsängern, die alles kopiert und geklont haben, was irgendwie nett oder gekonnt klingt. Neben ihm agieren ein wuchtiger Bass und ein grooviges Schlagzeug: Dreckig aufgenommen klingt das alles, viel Schönheit und geradezu aus dem Himmel gegriffene Gebrochenheit scheint darin zu wohnen. Es ist ein Ereignis, wenn heute jemand noch solche intensiven Linien in seine Musik zieht und Worte findet, die ein Konzentrat seines Blicks in die Welt sind.Und dann „My Enemy“: da bringt jemand eine grundlose, aber nachhaltige Feindschaft ein. Es steckt vielleicht so etwas wie ein Wettbewerb dahinter, ein Streben nach der eigenen Aufwertung auf Kosten von jemand anderem, - die Titelfigur im Song nimmt es einfach nicht zur Kenntnis (diese Titelfigur könnte Richard Thompson heißen), sie ignoriert das in Gelassenheit. So eine Melodie muss unbedingt ein Hit werden, das ist fabelhaft und geht einem nicht mehr aus dem Kopf.
Jeder Ton zeigt's und singt sein Lied davon: Da ist einer, der sperrig, kantig, störrisch und herb ist in diesem Gefälligkeitswettbewerb, der Showgeschäft heißt. Ein Album sollte vielleicht originell, persönlich, und auch dringlich sein. Dies hier ist es spielend. Da steht einer zu sich selbst und zu der Entwicklung, die in ihm vonstatten geht. Lächelnd. Souverän. Er muss etwas haben, was andere nicht haben. Die Neue Züricher Zeitung zitiert einen Moment aus dem Leben von Thompson, der so bezeichnend für ihn ist. Im Jahr 2005 lud der Buckingham Palace die fünfhundert wichtigsten Exponenten der britischen Musikindustrie zum Empfang. Im Gegensatz zu Berufskollegen wie Eric Clapton, Jeff Beck und Jimmy Page muss Richard Thompson der Queen vorgestellt werden. „Sie sind Folkmusiker und Songschreiber? Schön für Sie“ meint die Königin. „Hoffentlich ist das auch schön für alle anderen“ antwortet der Gitarrist. So spielt Richard Thompson auch auf „Electric“. In „Stony Ground“ wird (wie oft bei ihm) auf die falsche Frau gesetzt: da ist die Gitarre, die einen mitnimmt in dieses Erlebnis! Wie sie brennt! „Stuck on the Threadmill“ und „Sally B“ sind vielleicht jene Titel, die am meisten den Erwartungen entsprechen, die seine spöttische Einschätzung „Funk-Folk“ geweckt haben mag. Heftige Rhythmusarbeit und Richard T als luzider Lenker. Was für ein garstiges Solo er dann in den für seine Verhältnisse sonnig-ironischen Titel „Good things happen to bad People“ einflicht! Ein einziges musikalisches Grinsen ist das. Ein Aushalten und Durchhalten auch – in dieser Zeile. Ansonsten ist's eine Spekulation über die Seele einer Frau. Hätte vielleicht auch von anderen geschrieben werden können, - aber nicht gespielt. Er hat in einem Interview verraten, dass er ursprünglich ein 5köpfige Band hatte, sie aber auf Tourneen nicht mehr zahlen konnte. Also hat er seine Gruppe auf die ebenso wie er selbst in LA lebende Rhythmussection reduziert und beschlossen, die Sache offensiv anzugehen, indem er nun Songs für ein Trio geschrieben hat. Wer im Internet etwas sucht, findet Quellen, bei denen er die neuen Songs von ihm solo mit der Akustikgitarre zu hören bekommt. Und siehe da: es funktioniert mit diesen Songs ebenso großartig! Auch solo.
„Another small thing in his favour“ ist eine typische Richard-Thompson-Ballade, bei der man geradezu die Sängerin Sandy Denny oder seine ehemalige Partnerin Linda Thompson singen hören könnte. „...And she says I'm still part, of her wandering heart, that's another small thing in her Favour“. Verhalten und ruhig singt er das. Nie lieblich und gefällig, nie eitel oder gefallsüchtig. Danach der Rocker „Straight and narrow“ mit einer Orgel, die zum Beispiel an das Sir Douglas Quintett erinnern könnte: Sechziger Jahre. Beat. Und wieder seine herbe Gitarre. Bei „The Snow Goose“ singt Alison Krauss mit, die tausendfache Grammygewinnerin und Bluegrassprinzessin, die in Europa auch durch ihre Zusammenarbeit mit Robert Plant bekannt geworden ist. Unglaubliche Akkordprogressionen sind das, sein Spiel auf der Akustikgitarre trägt alles und tröstet: „In the Dream I am running, down the Street of molasses, in the Dream my Feet gain no ground“. In den meisten anderen Titeln heißt seine Duettpartnerin Siobhan Maher Kennedy, während der tolle Geiger, der ein bisschen an den einstigen Fairport-Violinisten Dave Swarbrick erinnern mag, Stuart Duncan ist. Spätestens seit dieser bei der gemeinsamen Tournee von Alison Krauss und Robert Plant mitgespielt hat, gilt er als der amerikanische Star an seinem Instrument. Auch der Abschlusstitel „Saving the good stuff for you“ rumpelt sich in eine typische Folkstimmung hinein und könnte vielleicht von The Band sein. „It was Love was making me blue, some kind of Love, well I called it Love, maybe fatal Attraction will do“.
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