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Musik als Selbstvergewisserung

Ob das so ist, dass in den bürgerlichen und bildungsbürgerlichen Ritualen der Gesellschaft unsere Kultur aufgehoben ist, ob unsere ständige Selbstgewisserung darin alles am Laufen hält und einen wichtigen Beitrag zu unserem Selbstverständnis leistet? Etwa die Musik von Johann Sebastian Bach? Absolut hochentwickelt zu einem frühen Zeitpunkt, der für die meisten unter uns weit in die scheinbar staubige Vergangenheit gerückt ist. Was für ein Phänomen ist das im Vergleich zu unserer zeitgenössischen Musik oder Popmusik? Unsere Musik der Gegenwart, die ganz anderen Zielsetzungen gehorcht und die entweder, wie im Falle der Popmusik, vom marktwirtschaftlich erstrebten Profit, oder von einem von viel Geld unterfütterten Bedürfnis nach bildungsbürgerlicher Selbstvergewisserung erfüllt ist. Jeweils auf ihre Weise scheinen beide Musiksysteme ihren jeweiligen Zeitgeist zu spiegeln. Wobei es uns manchmal scheint, als würden sich die elektronischen Möglichkeiten, ihre Speicherung und Manipulationsmöglichkeiten, in einem immer mehr sich steigernden Tempo entwickeln, aber derzeit immer noch den einem Menschen gemäßen Tempo un den damit verbundenen Möglichkeiten hinterher hinken. Ob je die technologischen Möglichkeiten und der Wille zum Ausdruck die Komplexität der Bach'schen Musik erreichen.

Die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz werden ja zur Zeit überall forciert. Eine Superintelligenz wird dabei auch wohl neue Wege für die Musik finden. Aber es werden wohl einer neuen Intelligenz gemäß Möglichkeiten sein, es wird ein beliebiger Ausdruck unter vielen sein, es wird die Form einer Nebensächlichkeit haben, die im schlechtesten Falle wohl eher langweilig sein wird. Vernunft könnte eine Art Dimension sein, in der sich bestimmte Musik abspielt. Zunächst einmal wird sich diese Intelligenz per Internet vernetzen und ihre Möglichkeiten weiter potenzieren. Eine Art „Supermusik“ könnte sie umspielen, in die die Möglichkeiten vergangener Musikepochen eingeflossen sein werden. Es wird wohl alles umgewandelt sein in digitale Datenmonster, die anfangen könnten menschliche Möglichkeiten weit zu übertreffen. Was wohl unsere heutige elektronische Musik damit zu tun hat? So, wie sie derzeit auf „Consumer“-Niveau ankommt und sich breiten Kreisen der Menschheit erschließt, mag sie von einer ziemlich geringen Komplexität getragen sein. Das Bedürfnis nach Rhythmus, d.h. nach akustisch strukturierter Zeit und den damit verbundenen Reizen, mag ein wichtiger Impuls für sie sein. Sequenzer und druckvoll programmierte Tonfolgen schaffen bisher unbekannte Räume, die manuellem Handeln weit überlegen zu sein scheinen. Klangfarben phantastischen Ausmaßes vergrößern unsere Möglichkeiten und erschließen ebenfalls völlig neue Möglichkeiten.

Doch unsere Fähigkeiten, sie zu strukturieren, ihnen einen kollektiven und für eine ganze historische Phase gemäßen Ausdruck zu geben, scheinen einstweilen damit noch nicht Schritt gehalten zu haben. Doch wir haben keine Zeit, uns zu konsolidieren, diese Möglichkeiten kennen zu lernen, mit ihnen umzugehen, sie einem klanglichen Kosmos zuzuführen. Ihre Geschwindigkeit ist einfach zu hoch. Wenn wir etwas begriffen haben und glauben, mit ihm umgehen zu können, gibt es auch schon etwas Neues, das zusammenfasst und erweitert, das Innovation bedeutet und neue Möglichkeit. So schlittern wir einem technologischen Fortschritt entlang, der uns per Künstlicher Intelligenz so versklaven könnte, dass wir glauben, transhumanoide Möglichkeiten zwingend zu brauchen, um einigermaßen mithalten zu können mit einer Form der Künstlichen Intelligenz, die uns eines Tages dann doch abschütteln könnte. Wie wohl die Musik von Johann Sebastian Bach aus einer solchen Perspektive klingen mag?