· 

Pop und Tabu

Es ist doch klar, dass der Pop „der jungen Leute“ über Tabuverletzung und Distinktion funktioniert. Aufbegehren gegenüber überkommenden und überlieferten Werten, Abgrenzung gegenüber der Erwachsenenwelt, das hat lange funktioniert. Wenn aber nahezu keine Tabus mehr da sind, die es zu verletzen gibt, funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr so recht. Nicht nur in Deutschland ist das Thema „Juden“ zu recht ein No-Go-Thema: tabu. Wie es um den Judenstaat Israel und seine Politik steht, mag dahin gestellt blieben. Rapper und Hiphopper in Deutschland können nun versuchen, das Thema Juden so aufzunehmen, dass Hassgefühle geweckt und benutzt werden: gezielt wird damit also versucht, unter dem Deckmäntelchen der ach so freien Kunst doch noch ein Tabuthema aufzuspießen, dessen Verletzung Schocks hervorruft. Auch Frauenfeindlichkeit und Homophobie scheinen sich dafür zu eigenen, denn unter den aufgeklärten Menschen Deutschlands sind das keine Themen, die noch kontrovers zu diskutieren wären. Dies heißt aber nicht unbedingt, dass dies nicht als „Tabu“ angesehen werden kann. Es ist vielmehr so, dass eine gesellschaftliche Debatte sehr viel weiter ist und gewisse Themen hinter sich gelassen hat. Und es ist so, dass andere Mechanismen hinter Versuchen stehen, solche Themen für sich auszuschlachten, indem damit Aufmerksamkeit erregt wird. Wenn Alice Cooper, Ozzy Osbourne oder Marylin Manson unterstellt wurde, dass sie gezielt und unter einem gewissen Kalkül Schockeffekte für sich nutzen wollten, hat man wohl nicht gar so unrecht. Ozzy Osbourne soll ja auf offener Bühne Tauben den Kopf abgebissen haben: Tabuverletzung gleich Schockwirkung und Aufmerksamkeit, was zu Neugier und erhöhtem Abverkauf, bzw. Profit führt. Schminke, grelle Sprüche und Tatoos mögen dieselben Bedürfnisse aufgerufen haben: sich unterscheiden, sich als etwas Besonderes stilisieren, sich definieren. Frauen als „Fotzen“ und „Schlampen“ zu bezeichnen, will unter dem Mäntelchen der Kunstfreiheit so durchgehen. Nutten zu ficken und allerlei sadomasochistisches Zeugs erscheint da mittlerweile ein bisschen ungeeignet: es langweilt. Sexuelle Abseitigkeiten sind längst zur Mode geworden und mögen niemand mehr hinter dem Ofen hervor locken oder gar zu provozieren. Vielleicht ist man auch angesichts vieler Medienstrategien zu abgebrüht geworden. Als Tabuverletzungen freilich eignen sie sich gelegentlich noch. Es beschreibe lediglich die Sprache, die unter anderem unter Jugendlichen gepflegt werde, so die gängige Erklärung, die gerne mal in eine Generalausrede hinüber gleitet. Mag sein, so würde es mir entfahren. Aber so etwas wie Judenbeschimpfung eignet sich nicht zur gezielten und kalkulierten Tabuverletzung: es ist vielmehr primitiv und besonders hierzulande völlig unangemessen. Ein klein wenig dürfen wir ja die Geschichte schon noch mitdenken: unter Umständen sind wir so geworden, wie wir geworden sind. In der Geschichte. Wenn wir etwas verstehen wollen, sollten wir auch die Geschichte berücksichtigen. Comichafte Übertreibung im Sinne einer Satire mag Kunst sein. Profit zu machen, ist nicht immer Kunst.