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Immer ganz neu

Ich habe mich früher oft gefragt, wieso es im Popgeschäft so sein muss, dass der Zyklus Album, PR-Tour, Tournee, neues Album so zwingend sein muss, dass alles zwangsläufig so abläuft. Mittlerweile haben sich die CD-Verkäufe kräftig reduziert und prompt scheint der Zyklus bei weitem nicht mehr so zwingend zu sein. Die Gewichte haben sich ja auch längst verschoben. Das Album und sein Verkauf ist bei weitem nicht mehr das Wichtigste. Eigentlich soll es nur noch die anstehende Tournee promoten. Früher war es umgekehrt. Aber es schien in Stein gemeißelt. Alle, ein ganzer „Markt“ handelte danach. Das Geschäft diktierte und die Künstler lieferten. Ich wunderte mich auch oft, dass die Künstler das „Bedürfnis“ nach Neuem so widerspruchslos zu erfüllen schienen, obwohl es nahezu unmöglich ist, fort während etwas Neues auszuspucken. Also spezialisierte man sich darauf, das Vorhandene zu perfektionieren und es zu variieren, eine Art „Stil“ daraus zu machen. Es rückten alleine schon aus Geschäftsgründen diejenigen Künstler in den Vordergrund, die sich fortwährend neu zu erfinden schienen, - siehe Madonna etc. Es hatten sich aber auch Mechanismen des Popgeschäfts herausgebildet, die etwas als selbstverständlich übernahmen, was so durch sich selbst verständlich gar nicht war. Die kapitalistische Logik bedingt es ja und bringt es mit sich, den Markt fortwährend mit Neuem zu füttern und Bedürfnisse zu wecken, die dann vom „Markt“ befriedigt werden können.

 

Doch die Popmusik und der mit ihr verbundene Lifestyle hatten Besonderheiten zu bieten. Beispielsweise galt es lange regelrecht als ein Gebot, jederzeit gut informiert und auf der Höhe der Zeit zu sein. Um hier eine Art Auslese zu schaffen, brauchte es fortwährend Neues, mit dem sich die Bescheidwisser abgrenzen konnten. Es war Gebot, neue Idiome zu kennen, „fortschrittlich“ zu sein, „forever young“ und in Bewegung: in der Popmusik wurden “Werke“ geschaffen, Konzept- und gewichtige Doppelalben lagen massenweise aus, lieferten Vorlagen für Filme, es gab Alben der philosophischen und esoterischen (weniger der politischen) Bekenntnisse, aufgemotzt durch „großartige“ Bookletzeilen und Beglaubigungen durch „große“ Namen, es schien alles große Kunst zu sein. Dann die postmoderne Phase: Anything goes. Anything sells. Heino neben Metallica, Frank Sinatra und U2. Ältere Musik auch, aber teuer verpackt. Vinyl und „Erstauflagen“ wie früher im Bildungsbürgertum beim Buchmarkt. Ganze Horden von Erklärern und Leuten, die ihre Existenz dem Übersteigern gewidmet zu haben schienen. Geschmäcklertum, das freilich keine große Anziehungskraft mehr zu haben schein, das längst in Beliebigkeiten und persönlich gefärbte Präferenzen abgerutscht war. Dem Behaupter sicherte es dadurch eine gewisse Einmaligkeit, etwas, das mit "Individualität" in Verbindung gebracht werden kann und auch in akademischen Kreisen sehr beliebt ist. Mittlerweile ist es so geworden, dass sich das Neueste (wenn es das unter solchen Verhältnissen noch gibt) vielleicht im Internet finden lässt, aber dass es keinen mehr interessiert. Teenager und Menschen in der Pubertät brauchen aber so etwas, um sich abzugrenzen. Sie scheinen es auch zu brauchen, um ihre eigene Vitalität zu feiern. Nur scheint Popmusik längst nicht mehr das adäquate Mittel dafür zu sein. Und der Wald dessen, das nur vorgefundene Muster variiert, scheint völlig unübersichtlich geworden zu sein. Die großen Medienfirmen scheinen auch zu lange überzogen zu haben, indem sie das kurzfristige Profitinteresse allzu sehr in den Vordergrund schoben und es versäumten, rechtzeitig große Künstler eines Schaffensversprechens, einer Kreativität aufzubauen. Ob etwa im deutschen „Markt“ eine Künstlerin wie Helene Fischer solche Versprechen einlösen kann, wird sich herausstellen. Skepsis scheint angebracht. Gut gelauntes Lächeln. 

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