Ich höre King Crimson, springe von Scheibe zu Scheibe, von Zeit zu Zeit: Einerseits sind das aufgeblasene Egomanien, anstrengend in sich selbst hinein bohrend, andererseits zeitlos in sich ruhend, nervös am Eigentlichen grabend. Gebilde:
Ich höre eine dicke alte Vinyylscheibe, King Crimson's „Three of a perfect Pair“. Aus den achtziger Jahren. Der Vorgang hat und hatte im Gegensatz zu heute etwas mit Respekt und Aufmerksamkeit zu tun, mit einem Sich Aussetzen ganzen Vinylscheibenseiten gegenüber. Es hatte einen ja auch etwas gekostet. Kohle. Im äußersten Fall 19,80 Mark. Also wollte man sie nicht einfach ablegen, zur Seite legen. Sie hatte als ausgewachsenes Album eine große Fläche, sie war ein veritabler Gegenstand. Sie war auch farblich gestaltet. Hatte einen grafischen Entwurf. Sie fühlte sich an. Man fühlte sich ein in sie, versuchte (im Rahmen der anderen Scheiben, deren Entwürfe einem vorgegeben waren...) zu verstehen. Man brachte dem gegenüber, der sich das als „Künstler“ ausgedacht hatte, Respekt auf. Es nötigte einem Auseinandersetzung ab. Man gab den Dingen Zeit, um sich zu entwickeln. Überhaupt, die Scheiben hatten einen anderen Rhythmus, schienen genau dafür Zeit zu haben, sich zu entwickeln, Spannungsbögen entstehen zu lassen. Das alles hatte die Zeit, um schließlich Emotionen in einem auszulösen. Man bildete sich eine Meinung und konsumierte nicht nur. Man schrieb das Gehörte einigen Namen zu, man versuchte, das Typische, Eigene und Eigenartige daran zu erkennen, man brachte es in Beziehung zu einem selbst.
Aber alleine schon den Plattenspieler (welcher ist der Beste, den man sich gerade noch würde leisten können?) ständig auf dem neuesten Stand zu halten, ihm ein geeignetes Abnehmersystem (wie viele Diskussionen habe ich einst darüber geführt!) zu gönnen, die Werte an den dafür vorgesehenen Einrichtungen (z.b. „Skating“) korrekt einzurichten, erscheint mir aus heutiger Sicht als eine veritable Aufgabe, die vieles an einem forderte, wofür man sich gar nicht geeignet fühlte. Also versuchte man, halt so einigermaßen mitzuhalten.
Diese vorliegende Scheibe mag auf viele damals abstrakt und avantgardistisch gewirkt haben. Heute tut sie das nicht mehr. Sicher, vieles scheint schroff. Aber heute, wo die Gefälligkeit, die leichte Konsumierbarkeit überall zu regieren scheint, ist das pure Erholung. Es wird gegen den Strich gebürstet, das Unerwartete auf geradezu entspannte Weise gesucht. Ungerade Rhythmen schleichen sich in den Kopf. Bob Fripp? Ha! Bill Bruford? Ha. Hatte man ja in verschiedenen Zusammenhängen kennen gelernt. Tony Leven, der anpassungsfähige, variable und kahlköpfige Alleskönner. Wer war er wirklich? Immerhin scheint er hier auch mal die Synty-Tasten gedrückt zu haben. Adrian Belew schien mir damals bei King Crimson das Popelement beizusteuern, obwohl von ihm bei Zappa und bei den Talking Heads davon nicht viel zu hören gewesen war. Aber seine Stimme: typisch!
Es werden einem Aufgaben gestellt von jemandem, dem man sich anvertraut hat. Dafür muss man dann nach ungefähr 20 Minuten herbei springen, um die Platte umzudrehen. Es ist kein komfortables, angenehmes Durchhören. Ein ständiges Rennen. Die Kratzer an den immergleichen Stellen ärgern einen auch. Überhaupt, man hatte damals viel gehört, das Gleiche wohl 30 mal hintereinander (oder noch wesentlich öfter...). In verschiedenen Lebenssituationen. Man hatte es auf sich wirken lassen. Man kannte vieles davon nahezu auswendig. Querverweise hatten sich einem aufgedrängt. Der mit dem und der mit jenem..... Weltbilder schienen aufeinander zu stoßen, es entwickelte sich ein Kaleidoskop der musikalischen Möglichkeiten. Es regte unsere Phantasie an. In viele Richtungen. Wir wurden dadurch einigermaßen „open minded“. Wir dachten, die ganze Welt solle so werden. Würde so werden. Wir staunten manchmal. Wir ordneten Sounds und Spielweisen Namen zu. Wir ließen sie an uns heran. Sie wurden ein Teil von uns....“Uns“? Von mir.