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Bilanz (1)

Ich habe mich damals mit der Musik sehr angestrengt, habe versucht, meine ganzen Erfahrungen in die Schreibe einfließen zu lassen und sogar meinen Lebenssinn daraus zu beziehen, während ich meine anderen Tätigkeit bei der Zeitung mehr als Gelderwerb betrachtete. Eine miese Erfahrung für mich war dann, dass man eiskalt auf meine Dienste verzichtete und mir einen Arschtritt gab. Solidarität unter Freien gibt es sowieso nicht. Jeder sucht ganz egoistisch seinen Vorteil. Frei. Selbständig. Stark. So die "offizielle" Einschätzung, die sich den "modernen" Lebensverhältnissen anhaltend verweigert. Jetzt fühle ich mich in einer anderen Lebensphase: mein Horizont hat sich geweitet von Pop weg und hin auf Kultur/Gesellschaft und die Zusammenhänge mit der Hedonismus-Industrie. Ich versuche jetzt mehr, die Dinge im Zusammenhang zu deuten, nehme alte Lebenslinien und Denkrichtungen wieder auf, höre alte Alben, - ohne freilich in Nostalgie zu verfallen. Ich will gewisse Dinge aus einer längerfristigen Perspektive sehen. Ich entdecke aber auf der anderen Seite, wie ich langsam aus der aktiven Gesellschaft heraus rücke und nehme auch meine eigenen Fehler intensiver wahr. Beispiel: Nahm Vieles in meinem Leben zu ernst, ließ es an mich heran, wo vielleicht mehr Leichtigkeit gefragt war. Ich versaute dadurch meine Lebensqualität. Bin jetzt in ein Universum der Stille eingebogen, entdecke, dass ich alt und älter werde, geworden bin, ohne es so richtig zu merken (wieder mal). Man ist jetzt nicht mehr dabei im aktiven Leben. Alles, was zählt, ist Produktivität. Geld. Da kann ich nicht (mehr) mithalten, will es auch nicht. Bin längst auf die Verliererstraße eingebogen und habe es nicht mal gemerkt.

Habe damals Bücher gelesen. Habe mich mit Poptheorien beschäftigt. Habe mich gewundert, wie gewisse Popschreiber Karriere machten, scheinbar leicht an mir vorbei zogen und plötzlich Professoren waren, die ihre Weisheiten international verbreiten konnten. Das auf Karriere und Geld abzielende Spiel hatte ich zu wenig drauf (so denke ich heute) Habe viel gehört, aber keine einschlägigen Beziehungen geknüpft. Habe mich einzufühlen versucht und von dort aus „Kritiken“ zu schreiben. Dabei versuchte ich stets, mir eine eigene Meinung zu bilden und nicht dem nach zu hecheln, was gerade hip war. Habe Ironie und Humor walten lassen, versuchte, meinen eigenen Standpunkt nicht gar so wichtig zu nehmen. Dass dies auf vollkommene Ignoranz stieß, hat mich gestört, irritiert und fertig gemacht. Ist die Masse der Leute tatsächlich so blöde und verbohrt? Es wurde selten von der „Leserschaft“ bemerkt, auch von den Redakteuren nicht, die sich eigentlich mit dem Wort befassen hätten müssen. Stattdessen fuhren sie (bis auf das „Führungspersonal“) bei jedem ihrer Streiks in den Urlaub, was ich als Freier Mitarbeiter befremdlich fand. Außerdem schienen sie ohnehin dauernd in Urlaub (tariflich gesicherte "Ausgleichstage") zu sein, wenn ich schuften musste. Urlaub? Es war nie geregelt, was hätte eintreten können, wäre ich krank geworden. Alles war dadurch erledigt, dass man sich bei jedem Streik mieser fühlte, weil man zwangsläufig als Streikbrecher auftreten musste.

Ich ging davon aus, dass wir alle davon wüssten, dass sich gewisse Gruppen zu sehr mit den Hauptfiguren des Pop identifizierten (Fans). Ich gestattete mir zuweilen, mich mehr oder weniger versteckt über diese Mechanismen lustig zu machen. Von redaktionellen Kollegen wurde dies kritisiert: Ich sei zu distanziert. Es war für mich relativ schwer zu begreifen, dass sich schon damals Wahrnehmungsblasen heraus gebildet hatten, dass man Fragen nicht als produktiv empfand. Entsprechend reagierten diese Fan-Leute auch oft persönlich betroffen auf Kritiken von mir, was wiederum ich schlecht verstehen konnte. Es gab doch Phänomene, die so selbstverständlich nicht waren, wie man sie uns zu verkaufen versuchte, - so dachte ich. Darauf sollte man doch aufmerksam machen, dachte ich. Überhaupt: dies riesige Business, was die „Akteure“ (Stars) umrankte, war für mich immer fragwürdig und suspekt. Ich war nicht bereit, dies als gegeben hinzunehmen. Gewisse Interviewsituationen waren für mich dabei sehr instruktiv. Man wurde dann über zahlreiche Mittelsfrauen und -Männer in ein Hotelzimmer (meist eine Suite) gebeten, in dem der Star in typischer Situation (man sollte ja Konzertbesucher „herbei schreiben“, war Mittel zum Zweck) Audienz gewährte. Unterwürfigkeit war in dieser Situation geboten. Ehrfurcht vor dem Star. Ich empfand das wohl zu oft als Peinlichkeit.