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Priesterin guten Geschmacks

Sie hat anfangs schockierende Sachen gemacht, Sachen, mit denen niemand so recht etwas anzufangen wusste, auch wenn beflissene Kulturjournalisten lange Erklärorgien veranstalteten. Sie ging mit Phantasie gegen die Denkfaulheit an, setzte Zeichen, wies kreativ auf etwas hin, was zu erraten war, in dessen Richtung man sich bewegen konnte. Doch irgendwann ging Laurie Anderson in den herrschenden Kulturbetrieb über, wurde ein Teil von ihm und genoss es offenbar, dass man sie derart als Protagonistin des guten Geschmacks anhimmelte. Ihr Ego erschien (auch von ihr selbst!) aufgeblasen, sie inszenierte sich selbst, sie wurde das Kunstorakel, das die Prophezeiungen erfüllte, die sie sich selbst gestellt hatte, Laurie Anderson badete in Anerkennung. Es wurden Ausstellungen und hochdekorierte „Konzerte“ veranstaltet, sie heiratete Lou Reed (auch so ein Monument!!!) und wurde u.a. zum Aushängeschild ihrer Heimat New York. Wer etwas auf sich hielt und sich von dem Publikum abgrenzen wollte, das heute zu den Konzerten von Helene Fischer rennt, der sprach in hochandächtiger und beweihräuchernder Bewunderung von Laurie Anderson. Ab und zu produzierte sie noch eine CD/DVD, umgab sich dabei mit hochpreisigen und teils sehr populären Studiomusikern und stellte Enigmatisches/Seherisches zusammen. Ansonsten ruhte sie (aus meiner Sicht) sich auf einem beachtlichen Kissen spitzzüngiger Kulturanerkennung aus und genoss ihren Ruf als Priesterin des Fortgangs technologischer Entwicklung, worin sie meiner Meinung nach einen streng amerikanischen Kurs einschlug, der dem unbedingten Optimismus der Technik gegenüber verpflichtet war. Verschwunden schien mir ihr anfänglicher Skeptizismus, den sie nun nur in jenen Dosen vorführte, die dem vor allem linksliberal orientierten Kulturbetrieb verträglich waren.