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Was gewesen ist

Ich sehe The Who live im Fernsehen und es springt bei mir fast dieselbe Faszination über wie damals, als Rasen angesagt war in einer Halle in Sindelfingen. Vita, das Leben, es ist eine einzige Feier des Lebens. „I'm free“, kein Zweifel, dass das damals noch ernst gemeint war. Keine geldgeilen Posen, das kam auch für The Who sehr viel später. Junge Leute, über die der Reichtum hereingebrochen war. Die in den Wahnsinn zielten. Dieses verrückte Harlekin-Gesicht von Keith Moon: der gab damals alles. Aus dem Moment heraus. Wenig Berechnung. Über die Stränge. Eine Gruppe, eine Band, die zusammen gefunden hatte, um gemeinsam zu rasen. Die Bassoli von The Ox gefallen mir auch heute noch wie damals. Das war sehr individuell, nicht einfach nur eitel vorgespielt. „Summertime Blues“. Die Sprünge und die Gitarrenwindmühle von Townsend wurden erst später zu einem Marken- und Erkennungszeichen. Später. Es schien damals aus ihm heraus zu kommen. „Behind blue Eyes“: ideale Zartheiten mit Härte vermischt. Alleine Körpersprache: springt über. Entgrenzung würden Philosophen heute dazu sagen. Über sich selbst hinaus kommen. "Shakin' all over“. Sehr sehr stark. Übertrug sich. Ich sehe das heute ohne Nostalgie. Ich sehe die Unterschiede zur gegenwärtigen Rockszene, die längst zu einem Popgeschehen geworden ist. Die feierten damals, dass sie jung waren. Heutzutage ist etwas als The Who unterwegs, zu dem sich unverständlicherweise auch der alte Pete Townsend gesellt. Sie verkaufen jetzt alles. Sind Teil eines Geschäfts mit den Erinnerungen. Aber unter den jetzigen Bedingungen. Ob die eines Tages einfach so weitermachen können?

„My Generation“. Die spielten im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben. Heute spielen sie für Kohle. Ist "normal" geworden. Profis halt. Natürlich spielte auch damals schon das Geld seine Rolle: aber nicht so dominierend wie heute. Vier Individuen, ausgeprägte Charaktere. „The Ox“ John Entwistle: der Ruhige. Pete Townsend: das Hirn. Roger Daltrey: der oberflächliche Poser. Keith Moon: Der Clown, nahe am Wahnsinn. Sensationelle Gitarrensoli: aus dem Vollen heraus gespielt, aus gebündelten Tönen, die man bildungsbürgerlich „Harmonien“ nennt. „Who are you“: Townsend'sche Wortspiele. Wir mochten das. Dazu das Überberstende der Live-Auftritte, bei denen neu zelebriert wurde. Der Bogen gedehnt bis zum Überspannen. Der pure Krach, die Aggression wurde mit einbezogen. Es wurden Himmelfahrten unternommen, von denen Moon eines Tages nicht mehr zurück kehrte. Der legte alles, vor allem sich selbst, in sein Spiel. Zumindest kam das alles so rüber. Irgendwann kippte das und ging in Dekadenz über.