Im Banne des Son

Wim Wenders' Film „Buena Vista Social Club“ war damals ein Welterfolg geworden und hatte eine Mode ausgelöst. Der Son, der ChaCha, der Bolero, die gesamte kubanische Volksmusik, war plötzlich sehr angesagt. Die auftretenden Bands waren meist – nach Vorbild des Buena Vista Social Club - mit sehr alten Musikern bestückt, die, wie man glaubte, ihr Handwerk trefflich verstünden. Vermarktungsmäßig hatte man sich voll auf die alten Kämpen gestürzt: Das war das Ding des Jahres! Das Politische blieb damals weitgehend ausgespart. Danach waren sie nach und nach gestorben, diese Größen einer bestimmten Musikrichtung, die Träger eines Gefühls war.... Aus, weg.  Wie war das nochmal mit „Guantanamera“, diesem Revolutionsschlager? War das nicht etwa auch hierzulande zum bekanntesten Lied der kubanischen Volksmusik geworden? Ich hingegen war bei der Zeitung der Beauftragte für diese Musik geworden, ich interessierte mich dafür, ich konnte mit ihr viel anfangen. Ihr Flow, ihr unbestimmbares Etwas war in mich eingedrungen. Ich erinnere mich, wie ich das Konzert des Buena Vista Social Club unter freiem Himmel im Ludwigsburger Schloss erleben und dann darüber schreiben durfte.... 

Egal, das ist Vergangenheit. Jetzt hole ich die CD „Buena Vista Social Club“ aus dem Regal, die ja wohl so etwas wie die Mutter des damaligen Booms geworden ist. Anfangs hatte mich Ry Cooder auf diese Spur gelockt. Der Mann war ja Weltmusikmäßig unterwegs, hatte etliche musikalische Wurzeln freigelegt, sich mit ihnen beschäftigt, sich ihnen mit seiner Gitarre angenähert und sodann eine eigene Vorstellung daraus gemacht, indem er ein Album daraus werden ließ. Das hatte mir damals sehr imponiert. Und jetzt hatte er sich unter diese fantastischen Musiker gemischt, flocht etliche typische Linien in ihr Musizieren ein, spielte sich mit ihnen Bälle zu, nahm sie lachend auf und verwandelte sie weiter. Der Pianist Ruben Gonzales, schon zu dieser Zeit hochbetagt, war mir stets aufgefallen. Welches rhythmische Feeling, welche Phantasie! Woher kam das? Ich erinnere mich, wie ich schon damals richtig staunte. Und jetzt: diese gestopften Trompeten, dieser Sound! Es mag damals auch etwas mit dem Aufnahmestudio zu tun gehabt haben. Dass das alles altmodisch mit Holz ausgekleidet war und eigenen Gesetzen der Akustik zu gehorchen schien, - man hatte das nicht anders erwartet und ich betrachtete dies als die richtige Umgebung für diese Musik. Ibrahim Ferrer, wie beseelt ist das denn? Solcher Gesang....sensationell. Auftakt: „Chan Chan“. Das war der Schlager damals. Mir fällt heute (im Gegensatz zu damals!) mehr der Gesang Ibrahim Ferrers auf und weniger die verschlupfte Slidegitarre von Ry Cooder. Ich lasse mich auf die emotionale Ebene absacken und fühle mich aufgehoben, einfach aufgehoben. Welch wunderbares Gefühl! Ich lasse mich für die Dauer des Albums auf diesem Gefühlsfilm gleiten und spüre dabei fast so etwas wie Euphorie.

Jetzt gehe ich hinein in Ibrahim Ferrers CD „Buenos Hermanos“, die daneben steht. Temperament, ja klar. Gefühl auch, ja klar. Aber dieser Sänger scheint es natürlich dosieren zu können. Und dazwischen seinen Musikern solistischen Auslauf zu gewähren. Ich bin jetzt im Fluss, kann nicht genug kriegen. Da orgelt etwas von Mauel Galban Gespieltes, was nur auf diesem Hintergrund so gut wirkt. Da ist ein Miteinander, ein geflochtener Teppich, auf dem sich Ferrers Gesang ausbreiten kann. Der Mann mit der weißen Rentner-Datschkapp musiziert mit Ry Cooder und überhaupt – dem gesamten Buena Vista Social Club. Ruben Gonzales ist nicht dabei – ob er damals schon gestorben war? Dafür Jim Keltner am Schlagzeug, der mir schon 1970 als Mitglied von Joe Cocker's „Mad Dogs and Englishmen“ aufgefallen war. Ein Mann der eher leisen Töne, der klug platzierten Akzente, der aus einem souveränen musikalischen Überblick heraus seine Rhythmen entwickelte. Ach, ich mag Jim Keltner! Hier spielt er oft mit Joachim Cooder zusammen an den Drums, dem Sohn von Ry, der seinem Vater oft assistierte. Jezt rüber zu Compay Segundo, dem Gitarristen des BVSC!  Die CD, die ich hier greife, heißt „Calle Salud“ und ist von 1999. Eingehüllt von zahlreichen Nachfolgern im BVSC spielt er hier ein paar wunderbar fließende Sachen, die vielleicht heute, so denke ich mir, im elektronischen MIDI-Modus nie so gelingen würden, egal, welche Sorgfalt man walten lassen würde. Das beiläufig „Normale“, das fließend aus dem Leben Kommende erschließt sich mir jetzt. 1999 war vielleicht alles schon gelaufen und die einstmals so Begeisterten in Richtung auf einen neuen Hype verschwunden. Eine Art Endmoräne und ein paar profilierte Musiker, samt ihren unglaublichen Tönen sind bis heute geblieben. Ich aber werde wiederkommen und immer wieder begeistert eintauchen in diese musikalische Welt. Super, dass ich dazu noch etliche CDs habe! Ich will sie im Zusammenhang von Anfang bis Schluss hören.