Songs für Kunden

Das Wort und die Relevanz sämtlicher Äußerungen des Individuums überhaupt scheint in unserer Gesellschaft doch stark zurück gegangen zu sein. Dabei wird es nostalgisch immer noch gerne simuliert, liebevoll gepflegt, in Nischen gezüchtet - stirbt aber auf vielerlei Wegen aus. Was vorerst bleibt, sind vielleicht Fragmente, Fetzen, Verfremdungen (auch in meiner Musik). Erinnerungen, gespeicherte Intensitäten, vergessene Strukturen, ein nostalgisches Gefühl von Aufbruch. Anarchisch. Chaotisch. Ein offener Horizont. Ich mache mir hier und jetzt auch keinerlei Illusionen über Formen wie Blogs oder Soziale Netzwerke. Sie tragen wohl eher zur Banalisierung des Einzelnen bei, - sie sind Erleichterungen und gleichzeitig geöffnete Schleusen. Der „Einzelne“ (die „Person“) scheint ohnehin selbst sehr stark zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben, indem nämlich heute auch scheinbar lyrische Texte industriell, arbeitsteilig und geradezu maschinell hergestellt wurden oder zunehmend werden. Der Druck auf die Tränendrüse ist etwas Gekonntes. Der Wutausbruch wird planmäßig herbeigeführt (jeweils beim „Durchschnittsuser“). Die Aufmerksamkeit wird gelenkt. Die Lüge beherrscht unmerklich vorrückend und die Gedanken verschleiernd das Feld. Es herrscht das Kollektive, der Schwarm, die Masse, „Big Data“, der Algorhitmus, das kalte Berechnen, - auch und gerade der Emotionen.

Klar, dass diese Szenerie im Gegenzug die „Experten“ (in die oft das Individuelle“ hinein projeziert wird) zu ihrem Spielfeld gemacht haben. Spezialisten drängen sich vor und erklären das Allgemeine für ihres. Sie kennen sich aus. Sie scheinen über Spezialwissen zu verfügen, wissen es besser. Das Überindividuelle (z.b. die Auswahl aus 30 Yogurths) findet sein Gegenstück im gleichförmig Uniformellen. Das technokratisch „Gekonnte“ scheint das Ideal, nicht das Erschaffene, aus dem Nichts Geschöpfte, das mit Erfahrung Unterfütterte. An seine Stelle tritt das zurecht Manipulierte, das Angeordnete, das Programm. Reize werden abgerufen. Das „Tun-so-als-ob“ beherrscht die Szenerie. Eine Scheinindividualisierung verkauft sich, wird im Hintergrund aggregiert und zu Werten verarbeitet. Fingierte Authentizitäten überwältigen. Songlyrics werden heutzutage „gemacht“, zusammengesetzt aus Versatzstücken, aus Phrasen, Klischees, aus synthetischen Perspektiven. Es wird alles immer austauschbarer, es wird zur kalten Ziffer, zur Zahl, zum manipulierten Etwas. Das Analoge, das im alten Sinne „Tatsächliche“, wird von grinsenden Technokraten oft zum disfunktionalen (Kosten-)Faktor erklärt und sofort ausgemerzt. Freigesetzt. Entlassen. Hinaus geworfen.

Auch Bob Dylan, dies alte Chamäleon, hat mit seinem jüngsten, etwas narzisstisch eitlen Zaudern bei der Übergabe des Nobelpreises vielleicht ein Zeichen in dieser Richtung gegeben: die bisherigen Mechanismen sind ausgeleiert und bis zur Unkenntlichkeit missbraucht oder kompromitiert. Sie gelten offenbar längst nicht mehr im Verhältnis 1 : 1. Es haben sich längst andere (meist ökonomisch konnotierte) Faktoren dazwischen gedrängt. Oscar und Grammys sind mit Verkaufszahlen solide unterlegt, der Erfolg bemisst sich in Umsatz. Der Mensch reiht sich freudig ein und wird willig Kunde. 

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