Musikalische Welten

Was wurden damals die Leute bekämpft, die einen wie auch immer gearteten Brückenschlag zwischen der folkloristischen Musik außerhalb des anglophonen Sprachraums und ihrer Musiktradition versuchten. Naturgemäß konnte das nur mehr oder weniger gelingen. Schon früh hatten ja damals zu Hippie-Zeiten die Beatles mit ihrer Indienreise und Ravi Shankar mit seinen Sitar-Reisen mit einer Art von "Weltmusik" begonnen. Später dann erfand die Industrie genau dies Etikett „Weltmusik“. Immer mehr nicht anglophone Musikpraktiken trafen nun auf unser Ohr, der musikalische Horizont erweiterte sich im Laufe der Zeit. Doch der Begriff „Weltmusik“ schien für viele eine Sicht- oder Hörweise zu bedeuten, die Europa und USA als Maßstab setzte und alles daran zu messen geneigt war: "Weltmusik", das bedeutete, den Rest der Welt und das, was in Wirklichkeit „relevant“ ist (selbstverständlich in ihrer eigenen Welt). Unter anderem trat die brasilianische Musik damals mit ihren vielen Schattierungen in unseren Fokus. Dass sie oft den Brückenschlag zu jenem Pop und Jazz suchte, wie wir das kennen, war doch normal. Populäre Musik hatte sich ja schon seit Jahrhunderten mit dem zurecht gemischt, was an die jeweiligen Ohren drang. "Reinheitsgebote" gab es da nie. Es gab in der ach so geschmähten "Weltmusik" natürlich deutlich mehr zu entdecken als das „Girl from Ipanema“, das sich schon früh mit Frank Sinatra und Stan Getz in US- und europäische Gehörgänge gedudelt hatte. Sinatra? Getz? Ob solche Namen wohl portugiesisch klingen? Oder ob sie in einem gewissen Kontext auch etwas Imperialistisches hatten? Von Kolonialismus und Imperialismus war dann in wohlbehüteten Wohlstandsburgen später besonders im Zusammenhang mit Paul Simons Album „Graceland“ die Rede. Es war damals so etwas wie der Standardvorwurf für Simon. Daneben diente die „Weltmusik“ den damaligen alternativen Wohlstandsmüslis oft genug als Vorlage für das Ursprüngliche, Wahre und Wilde. 

Doch mittlerweile ist es Zeit, den Vorwurf umzudrehen und denen entgegen zu halten, die mit ihrer anglophonen Scheise die ganze Welt überschwemmen, weil sie kapitalmäßig die großen Medienkonzerne halten und für Solches nichts als die Macht haben. Die Vertreter solcher Sichtweisen bezeichnen jegliche andere Musik gerne als irrelevant und sich selbst und ihren Geschmack als Nabel der Welt und einzigen Bezugspunkt. In Wirklichkeit sind diejenigen die Imperialisten, die andere mit ihren „Produkten“ überschwemmen und mit ihren Mittel „penetrieren“, die ein Interesse für sich als "Markt" deuten, den es zu beherrschen gilt. Es sind die Leute, die Musik zur Ware machen, mit der sie andere Gesellschaften überfluten und sich selbst als eine Art Herrscherklasse des Kreativen stilisieren.

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