Sonder-Rituale

Unterhaltungsmusik!“. Dieses Urteil der Verdammnis wurde mir entgegen geschleudert. Ich hatte es gewagt, ein relativ dünnhäutig fragil differenziertes Album zu loben, das musikalisch weitab von Metal lag. Als ob „unterhaltend“ ein abschreckendes Urteil wäre! In gewissen Metal-Kreisen wohl schon. Ich musste grinsen. Jemanden Abgeklärtes, der so viel erlebt hat, mit solchen Behauptungen noch unterhalten zu können, mag durchaus nicht das Simpelste sein. Das Urteil der ewigen Fegefeuer-Verdammnis setzt in diesem Falle voraus, dass Metal die große Alternative des gewaltigen Erlebnisses von gitarristischen Männerträumen wäre und dabei ständig das Rad neu erfinden würde. Dabei sind es die schlimmsten Klischees des Schrecklichen und Abstoßenden, die in diesem Genre immer wieder bombastisch aufgefahren werden. Als sei ein erweckendes Intensiverlebnis damit zu verbinden. Und das würde natürlich nicht auf den Mainstream-Medien stattfinden. Abgrenzung?

Als gebe es keine Rituale: auch nicht dieses lächerlich machistische Röhren wie ein Hirsch zur Brunstzeit und als würde auch nicht über eine „Matte“ verfügt, die sich als typisches Metal-Ritual nach hinten werfen lässt. Als würde sich das Gefühl nur in diesen furchtbarsten und bis zum Comic verzerrten Bildern äußern können, als sei alles und nun wirklich alles zerstört (außer natürlich dem eigenen Düsenjet). Als würde Klimakatastrophe, habgierige Profitsucht, Egoismus in einem zeitweiligen Gang über Geschmacks- und Tabugrenzen hinweg sich irgendwie in Fantasy aufheben. In Brutal-Death-Black-Power-Thrash-Doom kommt der verschwurbelte Zeitgeist zu sich selbst? Ob die Verbindung zur Realität sich nicht etwas einseitig in solchen Zerrbildern äußert? Mittlerweile loben Leute ohne jede Ahnung oder gar Überblick Metal als die einzig gültige Kunstform. So etwas scheint Mainstream geworden zu sein. Nun ja, wer's braucht. Manche elitären Dagegenhalter behaupten immer noch, dies sei eine Musik für Dumpfbacken. Schade nur, dass es beim puren äußerlichen Ritual bleibt und dieselben Personen nach dem vollzogenen Ritual in der von Totenköpfen übersäten Jeansstoff-Minikutte brav in die Rolle ihrer bürgerlichen Existenz zurückkehren, um genau zu diesen Leuten zu gehören, die sie in ihrem seltsamen Herumgeeire und Gitarrengequäle so eindeutig ablehnen. In Wirklichkeit mag's immerhin ein Code sein, der es verdient, als soziales und ästhetisches Phänomen ernst genommen zu werden.

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