Egotöne

Es kommt mir manchmal so vor, als ginge es besonders in der Singer/Songwriter-Ecke darum, das eigene kleine beschissene Ich auszudrücken, so wie es diese neoliberale Gesellschaft gerne hat: versponnen, eigen, optimal. Individualisiert bis zum "Geht-nicht-mehr". Eine Nische, ein Loch gefunden. Nur das Ego, das Ich, die möglichst phantasiereiche Nabelschau – in welchem Verhältnis das zum Ganzen oder der Gesellschaft steht, scheint egal, ist nicht beachtet und nicht berücksichtigt. Weit entfernt davon ist jenes "Sich-Hineinversetzen", jene Rollenpoesie, jene Empathie, deren sich etwa Ray Davies befleißigte. Heute heißt es: Hauptsache, ein Geschäft damit gemacht, tüchtig gewesen, eine Macke wohlfeil bearbeitet, etwas verdient, den Markt korrekt bedient. Man selbst ist das Wichtigste der Welt, das ist der Ausgangspunkt jedes Künstlers. Nur blöd ist, dass viele Wichtigsinger/Songwriter keine Künstler sind, sondern nur Erfüllungsgehilfen des Industriezweigs Ichverwirklichung. Von dort aus ist es möglicherweise nicht weit zur Selbstoptimierung: Sich ausdrücken, sich darstellen, seine eigene Seelenpein nach außen stülpen und sich als den Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit begreifen. Den Erfolg macht dann aus, wenn sich möglichst viele andere Individuen darin erkennen, ihre Sehnsüchte darin ausgedrückt und in der "Starexistenz" verwirklicht sehen. Klar muss alles unterhaltend sein und nett, aber Tabus sollen möglichst nicht gebrochen werden: Das ist die US-Schule, die wir ja so eifrig in allem kopieren, aber nur wenig daraus lernen. Gerne suchen wir den pseudogöttlichen Superstar, der das ja so populär zu zelebrieren weiß. Spätestens Bob Dylan hat ja bewiesen, dass eine sehr unschöne Stimme auch ansprechen kann. Doch nur bei uns wird immer noch die Schönsängerin oder der Schönsänger gesucht, der mit seiner Stimme alles kann, egal was. Hauptsache, es können, wie ein Ingenieur. Inhalte interessieren da weniger. Es kommt auf das „Wie“ an. Was für ein Gegenentwurf, den die Singer/Songwriter da hinzulegen scheinen! Dabei umsingen oder umgurren sie vollkommen im Rahmen der Rockklischees das Eigene, blubbern oft im persönlichen Biotop, was eigentlich total uninterssant wäre. Das Moment des Allgemeinen soll dann der „Liebe-Triebe-Song“ bringen, als das akustisch-musikalische Bekenntnis, als die Erfahrung, die ja jeden Menschen betrifft. Blöd nur, dass das Thema gerade deswegen etwas abgegriffen ist und es einer besonderen Form der Phantasie bedürfte, um sich seiner anzunehmen. Was früher sich (im „Goldenen Zeitalter“ der Rockmusik) in einem anderen Zusammenhang darstellte und das Beharren des Einzelnen, seine persönliche Suche und Umformung ins Lied ausdrückte, mag heute so manche Frage provozieren und nur noch wie die abertausendste Wiederholung eines Role Models wirken, das sich im Zeitalter des Neoliberalismus stark gewandelt hat.

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