Subkultur als Integrationsfalle

Ein paar Annahmen, das Gerüst einer Theorie, ein paar zusammenhängende Gedanken, die ich in letzter Zeit mitgekriegt habe, gehen mir dauernd durch den Kopf: Es braucht vielleicht wirklich viel Leidenschaft, um etwas innerhalb eines Klassen- und Wirtschaftssystems wirklich gut zu machen. Was ist "gut"? Ob die sogenannte Subkultur, ob die Alternativen da andere Antworten wissen? Es erhoben sich während des ganzen 20. Jahrhunderts gewisse Stimmen, als eine Art Schrei, der Freude, von Hass und Missfallen. Dieser Schrei sucht und suchte nach einer Sprache. Wie kann ich rüber bringen, was ich zu sagen habe, wurde zur großen Frage. Aber dann verklingt dieser Schrei und die Menschen, die geschrien haben, verschwinden auch aus der Geschichte. Eine Generation später kommt dieser gleiche Schrei von neuem - und verklingt wieder. Das geschieht dann immer wieder: Menschen entdecken fortwährend die Möglichkeit des Neinsagens. Diese Geschichte des Jahrhunderts unterscheidet sich von der Geschichte der Kriege, der Revolutionen, des Fortschritts, der technologischen Innovationen. Das ist eine andere Art von Geschichte. Ob es etwas mit Punk zu tun hat? Mit der ersten Welle der Rockrevolution? Es gibt Bewegungen und Kulturen, die in der „offiziellen“ Geschichte kaum eine Spur hinterlassen haben. Und doch geht von ihnen eine große Faszination und Buntheit aus. Sie bilden eine Art „Gegengeschichte“, so etwas wie „Underground“. Es läuft nach solchen Theorien unter anderem auch auf die Frage hinaus: E oder U? "Offizielle" Kultur oder alternative Kultur? Underground oder Wagner? Der Niedergang der klassischen europäischen Kultur bedeutet auch den Niedergang der traditionellen Klassenstruktur, die es ermöglicht, gewisse Formen der Kultur nur für auserwählte Leute zu schaffen und sie anderen vorzuenthalten, so dass es voneinander getrennte Kulturen gibt. Das bedeutet so etwas wie „Wir wollen nicht, dass dieser Typ in seinen miesen Kleidern das Opernhaus betritt“. Es braucht einen Auftritt, eine Anmutung, die etwas mit Status zu tun hat. Wir wollen ihn, diesen Primitivling, nicht einmal als Zuschauer, geschweige denn, dass er auf der Bühne steht. Darum geht es beim kulturellen Klassensystem, dessen Verschwinden wir seit geraumer Zeit beobachten. Dass dadurch das kulturelle Niveau nach unten nivelliert werde, und dass die großen Fragen „wer sind wir“, „warum gibt es uns?“ verschwinden, ganz zu schweigen von den spirituellen Fragen, was Gott von uns will.....

Auf die Behauptung, dass diese Fragen verschwinden, gibt es zwei Antworten, - sagt der Klassiker. Die eine ist, dass diese Fragen durchaus verschwinden und in anderer Form wieder auftauchen können. Die andere Antwort lautet: diese Fragen verschwinden nicht. Jedes große Kunstwerk stellt diese Fragen. Wie fühlt es sich an? Was bedeutet es, auf diesem Planeten zu leben, jetzt und gerade hier. Warum gibt es ihn? 

Dies alles skizziert wohl den klassischen Blick (was ist Klassik? Das Ursprüngliche, die Anfänge, in die sich inzwischen Geschichte gezwungen hat... das unverfälschte Credo, das sich in der Folge seines Erscheinens verschiedenen Einflüssen aussetzen musste...) auf eine alternative Kultur. Es ist meiner Meinung nach aber zu optimistisch, da sie die Globalisierung, den wirtschaftlichen Totalitarismus und das, was die Soziologie „Integrationsfalle“ nennt, viel zu sehr außer Betracht lässt. Die Gesellschaft ist nämlich fähig, alles zu integrieren, alles zum „Mainstream“ zu machen, alles „einzugemeinden“ und davon einen Gewinn machend zu profitieren. Beispiel? Die Sicherheitsnadeln, die die Punks ursprünglich an delikaten Stellen des Körpers hatten, wurden samt der dazu gehörenden Frisuren sehr schnell in den eingeweihten Kreisen chic und zum Accessoire eines Lifestyles. Bei den Frisuren war's zehn Jahre zuvor mit den langen Haaren dasselbe. „Schwarze“ Musik, Rap und HipHop, haben nicht lange nach ihrem ersten Auftreten Musiker hervor gebracht, die sich am Zurschaustellen ihres Reichtums zu befriedigen scheinen, die die immer dickeren Goldkettchen tragen und die dicke Lippe offenbar zum Markenzeichen gemacht haben, die unter ihrem Namen Klamottenketten eröffnen, es zum "Label" machten, die von ihrem Präsidenten eingeladen wurden und zuvor nervös wie kleine Schulkinder waren. Gewisse geistige Einstellungen wurden hip und sind sehr schnell zum Common Sense geworden. Sie haben sich selbst längst inhaltlich entwertet, indem sie spätestens im Postmaterialismus zum puren Trip, zum vorüber gehenden Symptom, zum Ausweis eines Lifestyles, zum nicht ganz ernst genommenen Einnahme einer austauschbaren Position, zum gut bezahlten Spiel mit Möglichkeiten wurden. Die Kunst, einst Symbol des Widerborstigen, wurde spätestens seit Andy Warhol eingeführt in den Kanon des populär Werthaltigen, das auf dem Kunstmarkt inzwischen zu absurden finanziellen Exzessen und zur gut bewachten Verwahrung in Freihandelszonen geführt hat. In diesem Sinne „erfolgreiche“ Kunst ist etwas für die herrschende und mit finanziellen Mitteln wohlausgestattete Klasse geworden. Auch die Phase, die das alles mit einer gewissen Ironie goutierte und sich einen gewissen Abstand zugute hielt, scheint inzwischen vorbei zu sein. Was im Zeitalter der Globalisierung gilt, ist Kohle. Nur das. Ganz brutal und hart.    

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