Das Genie des Schöpfers ist eine Idee der Romantik. Das autonome Subjekt ist ja vielleicht längst nicht mehr so autonom, wie einst gedacht. Wir sind der Umwelt und ihren Einflüssen in mannigfacher Weise ausgesetzt. Unser Bewusstsein ist unter Dauerbeschuss. Wir sind Produkt. Und wer in der heutigen beschleunigten Popszene würde heute noch die Zeit haben, einen eigenen Stil zu entwickeln? Stars, Superstars, Megastars. Wem wird diese Zeit eingeräumt, nach oben in den Himmel der Großmäuler zu kommen? Gibt es deshalb so wenig erfolgreichen musikalischen Nachwuchs? Nachhaltige Stilisten? Welche, die einen Pflock einschlagen und tönen „hier bin ich!“. Hatten Pink Floyd, Grateful Dead und Genesis nicht über viele Alben und Umbesetzungen hinweg Zeit, einen eigenen, teilweise sonderbaren Stil zu entwickeln, so scheinen die handwerklichen Formeln fürs Musikmachen heute allesamt für alle gleich parat zu stehen: entweder gibt das sofort ein kapitalen Hit oder - weg damit! War solche Musik in der Vergangenheit vorab gefiltert von diesen ahnungslosen Plattenmanagern, die Musik als Umsatzträger verstanden und ausschließlich von Quartal zu Quartal dachten? Waren das die wahren Kenner? Fest steht nur: dies alles ist vorbei.
Das Internet, die dazu gehörenden Plattformen (platt!) und die Vertriebskanäle des Anonymen spülen sie alle fort. Plattenfirmen als Filter musikalischer Qualität sind eine Idee der Vergangenheit (wenn sie überhaupt in dieser Form je existierten...). Plattenfirmen als Organisations- und Vertriebsform insgesamt sind ja angesichts dessen total überholt. Es geht vielmehr um Rechte. Die zur Popmusik gehörende Industrie hat nicht rechtzeitig umgedacht, hatte keine Visionen, keine Ziele abseits des schnellen Geldes. Die Zeit, die Umstände haben sie deshalb überholt. Ein paar künstliche Stars, für den Augenblick modelliert, sind übrig geblieben. Und Lady Gaga. Katie Perry. Kanye West. Beyonce. US-amerikanische Marken. Charisma als Verführungspotential einer Industrie. Multimediale Verwertung ist angesagt. Kommerzialisierung auf möglichst allen Kanälen: Film, DVD, Hemdchen, Kettchen, Tassen. Das geht noch. Die einstigen Helden des Underground, die Koryphäen des Alternative Rock, haben schnell noch ein paar Verträge abgeschlossen und sich an die letzten Großkonzerne verkauft. Die Zeit rast immer schneller: die Rückkopplung mit dem Publikumsgeschmack beschleunigt sich immer mehr, Konzerthallen sind voll oder nicht, Airplay ist ganz klar in Zahlen zu messen.
Erfolg im Popgeschäft misst sich ausschließlich in Umsatzzahlen. Der Abverkauf zielt in jede mediale Richtung, Images sind austauschbar. Eins kaufen, eins gratis. Angebot gilt nur bis morgen. Alternative und volkstümlich: "Gut gemacht" (die Betonung könnte auf „gemacht“ liegen, es ist dies ein Fach für technische Könner und professionelle Spezialisten) gilt als höchstes Lob. Bedient werden Klischees und ihre Zielgruppen. Es ist alles machbar. Und Popmusik als ganzes, Rockmusik gar? Wer wollte da den Überblick behalten? Hat sich aufgespalten. Ist nur noch Medium der Distinktion. In der Nische wissen sie alles über ihre Stars, aber schon das, was thematisch dicht benachbart liegen würde, interessiert sie nicht mehr. Fraktionierung ist angesagt, Fragmentierung. Kurzfristigkeit. Wer interessiert sich noch für Popmusik als Ganzes? Spezialisten, die für den Markt unerheblich sind, Aficionados, Liebhaber, Kleinteiler, Kenner und Könner.Diejenigen, die es sich leisten können und wollen. Einen Blick darüber hinaus riskieren? Für das Phänomen als Ganzes, das ja unendlich viele Schattierungen, Sparten und Perspektiven hat? Wer ist dafür da? Popmusik ist selbstverständlich geworden, eine Klangtapete. Überall gratis verfügbar, Ausdruck von Lifestyle als Lebensstil, zeigt nur noch selbstreferentiell auf sich selbst, ist Accessoire, - Begleit- und Unterhaltungsmedium. Wer würde da noch Fragen stellen?
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