Fado

Sie sagen, der Fado sei der europäische Blues. Wohl wegen der Intensität und Gefühlsstärke, wegen seiner Eigenschaft als Volksmusik auch, - Musik des Volkes. Rein musikalisch ist er weit weit weg vom Blues. Bei allen touristischen Klischees: Der Fado ist manchmal deprimiert und monoton, kreist um seine eigenen Klischees und ist dreckig. Er kommt aus den Hafenkneipen, so sagt man, in Lissabon, wo sie heute eine touristische Schau daraus machen und ihn als folkloristisches Markenzeichen verkauft haben. Im Herz des Fado brütet aber auch das Unattraktive, das nicht gleich Anziehende, das Gewöhnliche, das Verzweifelte und Beleidigte. Die Inbrunst, mit der er hervorgebracht wird, die Melancholie und die verschnörkelte Emotion mag typisch sein. Wer weiß das schon noch. In der Alfama, der Altstadt von Lissabon soll es sagenhafte Kneipen geben, in der spontan Entschlossene mit all ihrer verschluckten Emphase auftreten können. Kompetente musikalische Begleitung ist garantiert. Auch bei Festen auf der Straße ist es durchaus Brauch, dass Unbekannte zu Fadisti werden und es plötzlich aus ihnen heraus bricht. Es kommt spontan, es ist unangesagt, es kann große Kunst sein oder eine kleine miese Kopie des Besseren: ja, der sehnsuchtsvolle Blick aufs Meer hinaus, der ist in Lissabon möglich gewesen. Bloß, wer von den heutigen Besuchern und Einwohnern der Stadt weiß damit etwas anzufangen? Fernando Pessoa war ein sehr großer Schriftsteller, der sich gelegentlich auch ins Unkorrekte gewagt hat, der in der Not der Identitätssuche den Spaltungen seiner Seele verschiedene Namen gegeben hat, der nie aus Lissabon heraus gekommen ist und also den ersten Stadtführer geschrieben hat. Im Geronimo-Kloster ist sein Grab. Na und? Wir halten trotzdem einen Moment vor der Metallplatte mit seinen Daten inne.

Heute ist er eine Figur auf T-Shirts und wird als Volksheld gefeiert. Ein bebrillter Kauz. Ein Sieger der Poesie. Dabei war er nie ein Tribun der Vielen, hatte genug damit zu tun, seine eigenen Egos einigermaßen zu ordnen und sie in seiner Person zu bündeln. Auch zog er innerhalb Lissabons fortwährend um und ließ gewollt seine Spuren verwischen. Er wollte nicht als Eindeutiger erkannt werden und bohrte sich hinein in eine nicht nur literarische Suche, er war nicht so leicht greifbar. Wer heute zu seinem Geburtshaus kommt, mag erstaunt sein, wie wenig Habhaftes es da zu bestaunen gibt. Eine Schreibmaschine, gewiss. Fotos, Bilder, eine Truhe und ein paar belanglose Sachen. Er ist eine Figur für Lissabon, wie Kafka für Prag. Ein Großer, der tagsüber einen unauffälligen bürgerlichen Job machte und sich darüber hinaus in der Literatur verwirklichte. Fabelhaft, wie er das hinkriegte! Als Person wollte er jedoch gar nicht so wichtig genommen werden. Vielleicht. Ob er eitel war? In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wurde der längst Gestorbene hierzulande plötzlich auch populär. Wohl wegen der wohlfeilen liebevollen Ausgabe seiner Werke, unter anderem auch in sein wunderbares  "Buch der Unruhe". Mittlerweile hat sich alles wieder gelegt und er ist in der am Tagesaktuellen orientierten Vergessenheit verschwunden.  Archiviert heißt das: Schriftsteller aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts.  

Von Pessoa stammen natürlich auch ein paar Verse, die im Fado zelebriert werden. Ein paar viele sogar. Aber er hat ja auch dieses Gefühl der Saudade, das im Deutschen seit der Romantik gerne mit „Sehnsucht“ übersetzt und allzu schnell zu den Akten gelegt wird, ganz gut umkreist und es gefasst. In Worte manchmal. Diese „Sehnsucht“ ist der andere Pol des Fado, der ihn treibt, der ihn drängt, etwas Seelisches nach außen zu schleudern. Die scheinbaren Übertriebenheiten mögen einem manchmal nicht so recht passen, das gefühlsmäßig Schluchzende, das überquellende Mittelmeergebrause, das Schwelgende auch. Aber man sollte trotz aller schöner Gerührtheit vielleicht wissen oder es wenigstens ahnen: es ist tief in der Verzweiflung der Aussichtslosigkeit verwurzelt, im Dreck der monotonen Alltäglichkeit. Lissabons und Portugals wohl größter Sohn Vasco da Gama hätte wohl auch ein Lied davon singen können. Er nahm sein Geschick in die Hand und wurde zu einem der wichtigsten Entdecker, die die Erde gesehen hat. Seine Stadt aber gehörte oft zu den Verlierern und musste unter anderem ein großes Erdbeben mitmachen. Katastrophe, Vernichtung, Seuche, Tod: auch darin ist der Fado verwurzelt. Es lohnt sich, ihm zuzuhören. 

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