Rockernostalgie

Es ist 1. Mai und ich schaue gelegentlich in das 3Sat-Programm mit der Nonstop-Rockmusik rein. Das scheint mittlerweile gute Tradition geworden zu sein und zieht auch genügend alte Säcke als Zuschauer an, um durch Quotenprobleme zu kommen. Es sind die alten Schlöcke aus der scheinbar goldenen Zeit der Rockmusik, die hier zugange sind: Queen, Rolling Stones, Deep Purple, Bryan Adams usw. schwitzende tosende Menge, Männer mit langen Haaren und krachenden Gitarren auf der Bühne, winselnde Soli und krasse Schlägertypen hinterm ballernden Schlagzeug. „Die konnten halt noch was!“, so höre ich in Gedanken die Aussagen und symbolischen Gehalte, die geradezu aus dem Bild zu wabern scheinen. Die alten Säcke erinnern sich und wollen noch einmal die alten Weisen, die wenigstens ein paar Minuten lang bewirken sollen, das sie sich jünger fühlen. Wie konservativ ist denn dieses Publikum geworden? Das ist ja nichts anderes, als der Missbrauch der Musik als Krücke. Als Stimulanz, als indirekte psychologische Hilfe zur wehmütigen Erinnerung. War denn wirklich alles besser damals? Als gestandene Rockstars noch Fernseher aus dem Fenster warfen und dem Größenwahnsinn verfallen waren, weil alles noch nicht da war? In dieser Größe, in dieser überwältigenden Massenwirksamkeit? Weil sie sich als die Ersten fühlen durften, denen freilich später noch viele nachkamen? Ob es nur die Gnade der frühen Geburt war, die diesen Leuten diese Aura verpasste? Oder ob sie tatsächlich noch originäre Ideen hatten? Clapton war ursprünglich sehr bluesorientiert und soll seine freiesten Soli später unter bewusstseinserweiternden Stimulanzien gespielt haben. Ob das dann so genial war oder vielmehr zerfahren und ein Gottesdienst des eigenen Egos? Clapton hat sich ja danach aus diesem Trip zurückgezogen, hat bewusst das Bescheidene, das Mitglied in einer Band gespielt, wollte nicht mehr als vergöttertes Idol ganz vorne sein. Heute scheint sich alles zu einem gleichmäßig von Managern beherrschten Geschäft geworden zu sein, das zur puren Unterhaltung da ist und dem einen oder andern noch einmal ein gutes Gefühl bescheren soll. Es geben nicht mehr die langhaarigen knorrigen Typen den Ton an, sondern es sind meist exakt fokussierte Technokraten, die genau wissen, was sie tun und wie sie es tun. Dennoch reicht ihr Erfolg mittel- und langfristig oft bei weitem nicht an den der großen Alten heran, die auch noch Träger eines bestimmten Lebensgefühls waren und meist dem unbestimmten und oft drogengetriebenen Protest ein Gesicht gaben. Protest gegen eine einseitig materialistisch eingestellte Wirklichkeit. Heute sind es gelegentlich dieselben Figuren, die ihren alten Namen nochmal zu Geld machen wollen, indem sie das Materielle und die Kohle mit ihren Mitteln noch einmal hochleben lassen. Noch einmal: das ist gute Tradition, Nostalgie und rückwärtsgewandt. 

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