Es ist mir ein Interview mit der klassischen Pianistin Helene Grimaud in Erinnerung geblieben, das ich irgendwo gelesen hatte. Sie kam mir darin ungeheuer verwöhnt vor und gleichzeitig nahe an der Musik. Sie behauptete darin, Menschen würden sich in der Musik selbst erkennen können und die Dinge gleichzeitig so, wie sie sein könnten: typische Einlassung einer Spitzenmusikerin. Ich denke: Möglicherweise ist die Wirklichkeit auch des eigenen Ich viel „dreckiger“ und verlangt deutlich mehr handwerkliche Mühe, als ein von allen Seiten umsorgter und bewunderter Edelgeist der Musik sich das vorstellen will. Sie sieht regelrecht eine „spirituelle Erfahrung“ in der Musik. Ja, das könnte sehr möglich sein, so geht es mir immer wieder durch den Kopf. Blöde nur, dass das so wenig mitzuteilen und zu „kommunizieren“ ist. Dass es in dieser materialistisch organisierten Wirklichkeit auch niemand so recht kümmert, es sei denn, es trägt zum Seelenheil desjenigen bei, der nur in einem solchen Bewusstsein zu einer Spitzenperformance fähig ist. Ich dachte solche Gedanken auch einmal, fand in mir aber bei weitem keinen Spitzenpianisten vor, nicht mal einen Flachlandklimperer. Sie sprach auch über technische Perfektion, die nie schaden würde. Automatisierung und Routinen, immer wieder geübte Abläufe, so das Stichwort, das wohl auch für Artisten aller Art und Sportler gilt. In Wirklichkeit aber müsse man darüber hinaus kommen, so Frau Grimaud. Es gelte vielmehr, den Pfad des Risikos zu beschreiten. Recht hat sie, so dachte ich, - im Ideal. Wenn ich mir aber den Musikmarkt ansehe, so regiert gerade in der klassischen Musik überall die technische Perfektion, keineswegs die Inspiration oder das Risiko. Musik scheint Selbstzweck, l'art pour l'art. Technokraten regieren auch hier. Irgendwelche Spitzenmusiker können sich da Gedanken darüber machen, wie sie das eine mit dem anderen zusammen bringen. Doch es spielt sich alles in ihrem Bewusstsein, auf ihrem Niveau ab. Wem teilt es sich mit? Es hat keine populären Konsequenzen.
Das war zumindest in den Anfängen der Rockmusik etwas anders. Das Elitäre schien von dieser Musik abgefallen zu sein, sie schien sich nahezu jedem in vielen erhellenden Verästelungen mitzuteilen. Dieses egalitäre Element, der Ausdruck als Folge eines originellen Suchens, das geht meiner Ansicht nach viel zu wenig in die klassische Musik ein. Oder es ist eine Spezialdisziplin für ausgebildete Spezialisten. Es ist meist einem hochsubventionierten Bereich der High-Brow-Kultur vorbehalten, der dies als Mittel zur gesellschaftlichen Abgrenzung nutzt und weniger als hochentwickeltes Sensorium einer Aufnahme von Kunst.Hier eine Mitte zu suchen zwischen dem plumpen Anbiedern an einen Massengeschmack und der Produktion für eine hochspezialisierte Gemeinde der Versteher-Kenner-Bescheidwisser, dies miteinander auszutarieren, in ein Verhältnis zu bringen, war etwas, was ich früher immer in der Rockmusik gespürt habe. Es hat für mich auch über lange Zeit hinweg das Neue an der Rock- und Popmusik ausgemacht. Sie hatte auf diese Weise nicht die hohen Subventionen als Kulturgut nötig, sie finanzierte sich selbst nur zu gut. Mittlerweile aber scheint alles ins Kaufmännische abgekippt zu sein, die Manager und Controller, die Marketingspezialisten und Unternehmensberater geben den Ton an. Rockmusik, sofern dieser Begriff überhaupt noch existiert, ist ins allgemeine Showbusiness und Establishment übergegangen.
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