Pop und Religion (1)

Seit langem schon beobachte ich diese Parallelität und Bezüglichkeit zwischen Religion und Popkultur. In vielerlei Hinsicht scheint Pop in den Industriestaaten einen neuzeitlichen Ersatz für Religion zu geben. Hatte sich erst die Poesie und dann die Literatur aus der Religion heraus entwickelt, so scheint Pop sich aus diesem Komplex heraus zu entwickeln. Der Transmissionsriemen, das Medium also, scheint dabei egal zu sein. Was gilt, ist das Bedürfnis nach Orientierung, das meist von einem Propheten oder Heilsbringer erwartet wird. Dabei setzen manche Religionen eine Autorität, die mit ihren Lehren aus mystischen Nebeln heraus die frohe Heilsbotschaft verkündet hat. Es gibt den „Superstar“, der über seherische Fähigkeiten verfügt und diese in seinen Verlautbarungen bekannt gibt.

Dieser Funktion mögen wohl in der modernen Popkultur die „Stars“ entsprechen, die sich ihren Anhängern und „Fanatics“ , also ihren Fans, als Popstars in ihren Songtexten, aber auch in ihrem ganzen Auftreten mitteilen. Das Image verleiht die Aura. Es begann wohl mit Elvis, dem alsbald die Bezeichnung „King“ angehängt wurde und der vom armen Junge aus den Südstaaten zum Herr der Herrlichkeit aufstieg. Seine Schweißtücher sind noch heute als Reliquie verehrt, ein Besuch in seiner Ranch in Memphis scheint für viele Menschen Pflicht zu sein: er ist eine frühe Lichtgestalt des später immer professioneller werdenden Showgeschäfts.

Den „Stars“ möglichst viel Bewunderung und Verehrung teil werden zu lassen, gewahr zu werden, wie sie in Konzerten "sogar" ihre persönliche Leibhaftigkeit zur Schau stellen, dabei ihrer persönlichen Anwesenheit gewahr werden, ihnen gleich und gleicher zu werden, ohne ihren Glorienschein je erreichen zu können, mag ein modernes Ideal des Fans sein. Der unendlichen Verehrung des Stars Ausdruck zu geben und weniger seiner (musikalischen) Leistungen, scheint ein wichtiger Mechanismus vieler Popkonzerte zu sein. Die Musik scheint da immer mehr zum streng auf eine „Zielgruppe“ ausgerichteten Medium geworden zu sein, zu einem Mittel zum Zwecke des säkularen Gottesdienstes. Dementsprechend scheint auch alles von vornherein und unbedingt gebenedeit zu sein, was ein solcher „Bühnenheiliger“ da absondert, ungewisse Sehnsüchte und Traumvorstellungen seiner Fans stellvertretend auszuleben. Zweifel sind da unangebracht, wer andere Meinungen kund tut, wird niedergemacht. 

Es gilt darüber hinaus die konkrete Erfahrung des Augenblicks und weniger das kritische Überdenken einer Situation oder eines Mechanismus. Auch das scheint mir eine Parallele zu den Erweckungsveranstaltungen zu sein, mit denen gewisse Prediger besonders in den USA durch die Lande ziehen. Der Gottesdienst ist das Konzert, die Mehrzweckhalle die Kathedrale und das kleine oder größere Automobil dient der Wallfahrt. Das Merchandising schafft physische und möglichst gut honorierte Zeichen der Verehrung, Autogramme mögen dabei so etwas wie Beglaubigungen einer physischen Anwesenheit sein. Der Star soll seinem Fan möglichst nahe und gleichzeitig der ferne Stern am Himmel sein. Verdienste hat sich dieser Star als Finder und Erfinder in grauer Vergangenheit erworben. Doch auch diese Mechanismen scheinen zunehmend der Fraktionierung in unserer Gesellschaft ausgeliefert zu sein. Generationenübergreifende Gottesdienste dieser Art werden immer seltener, es sucht vielmehr der spezielle und von der jeweiligen Geschmacksgemeinschaft wiedergespiegelte Geschmack sein Ziel, das auf ein bestimmtes Lebensalter gerichtete Handwerk oder die kurzfristige Sinnzuweisung. 

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