Popmusik und ihre Verbreitung

Wenn in einem Konzert der Mann am Mixer die Einstellungen am Equalizer so wählt, dass Nylonsaiten „knattern“, dann tun sie das, völlig unabhängig davon, ob es der vermeintlich beste Gitarrist der Welt ist, der da spielt. Wenn dieser Gitarrist beispielsweise mit seinem Mienenspiel arg dick aufträgt und nach Meinung des Hörers seine Emotionen möglichst kitschig übertrieben spielt, indem er allzu emphatisch auf die Tränendrüse drückt, dann ist zu vermuten, dass er damit etwas anderes ausgleichen will. Vielleicht. Vielleicht will er ja auch nur eine hörbare durch die sichtbare Wirkung verstärken. Und vielleicht ist so etwas nur eitel. Den Blick dafür entwickeln zu wollen, kann nicht ganz falsch sein. So etwas zur Sprache zur bringen, auch nicht. Das übertrieben „klare“ Posing jedenfalls ist heutzutage Inhalt jeder Ausbildung zum Rockmusiker, wie ihn beispielsweise die Popakademien massenhaft produzieren. Showgeschäft bedeutet: Zeigen, spielen, eine Vorstellung geben und abziehen, unabhängig davon, was der Künstler im Augenblick empfindet. Die gestanzten Posen. Genau das wäre ja Ausdruck von Professionalität. Nun ja, Hauptsache alles gegeben. Oder wenigstens den Eindruck im Publikum hinterlassen.... Posing richtet sich natürlich, - ganz besonders bei den Altrockern! - auch danach, welche Rolle solch ein Künstler über all die Jahre hinweg gegeben hat. In überdeutlicher Form gibt er diese Rolle meist seinem erfreuten Publikum.

 Die Vielen in den großen Hallen irren nie? Nun ja, da macht es möglicherweise keinen Unterschied, ob das Publikum bei einem volkstümlichen Konzert oder bei einem saftigen Rockkonzert total begeistert ist. Das Gebotene ist da auch egal. Als ob die Begeisterung der Vielen ein Kriterium wäre! Es mag ja Publikum aus vielen Gründen begeistert sein, was ihm auch niemand nehmen will. Wer seine mittlerweile 80, 90 oder 100 Euro pro Person berappt, der kann sich ja nicht dadurch selbst in Frage stellen, dass ihm das Gebotene offenbar nicht gefällt. Oder dass er es auch nur in Frage stellen wollte, in Frage gestellt sehen wollte....Denn er identifiziert sich in aller Regel damit. Er will ja an diesem Ort nicht nur sich selbst (und seine finanzielle Verausgabung für den Star/die Stars), sondern sein eigenes Aufgehen in einer Geschmacksgemeinschaft feiern. Es sind ja die vielen, denen alle dasselbe gefällt, es ist so etwas oft eine perfekte und mit allen Mitteln der Promotion gelenkte Gleichschaltung des Geschmacks. Die Vielen irren nie, das ist ein Glaubenssatz der Massengesellschaft. Die einen glauben genau daran, die anderen mehr an ihren eigenes Urteil und Geschmack, der sich möglicherweise über viele Lebensphasen und -erfahrungen hinweg herausgebildet hat. Vielleicht darf der Einzelne auch mal den Mut haben, sich gegen die plumpe Diktatur der Mehrheit zu wenden, die ganz besonders dann immer recht zu haben glaubt, wenn sie sich in Massenveranstaltungen mit ihren immer wiederkehrenden Ritualen findet. Aber auch bei TV und Radio regieren inzwischen die Quoten: was dabei herauskommt, kann niemanden überraschen.

 Zum einen ist da der unreflektierte Spass, dieses „das war Spitze!, Super!“ Geil“! Daneben mag es aber auch noch den vergleichsweise reflektierten Geschmack geben, der sich um eine Einordnung in das müht, was er bisher erlebt hat, der sich daran abarbeitet und sich Mühe gibt, der den Blick aus wechselnden Bühnendekorationen hinter die Kulissen wagt und gewagt hat. Es mag da so manches zu entdecken sein, das mit dem von der Bühne des Showgeschäfts nach vorne ins Publikum gewandten Mythos nicht viel zu tun hat. Er mag auch von Vornherein einiges in Erfahrung gebracht haben, was zum gepriesenen Image nicht passt. Alleine aber schon so etwas zu erwähnen, das Gebotene also in möglichst vielen Erscheinungsformen ernst zu nehmen und es nicht nur zu beklatschen, muss seinem unreflektiert jubelnden Mitmenschen doch nicht den Spass verderben! „Toleranz und Gelassenheit“ anderen Meinungen gegenüber tut da not! Und was auch immer wieder zu hören ist: So negativ muss man das doch nicht sehen! (?) Man muss überhaupt nichts, im Gegensatz zum Diktat der Vielen sind solche Seiteneinblicke- und Einsichten ganz klar die Perspektive eines Einzelnen, der sich mit seinen Mitteln um eine Ansicht müht.

Ein gewisses Unbehagen manchen Phänomenen gegenüber auch noch sprachlich gewandt äußern zu wollen, muss auch keine Arroganz oder Überheblichkeit in sich tragen, sondern kann eben jene Lust an der Formulierung signalisieren, die diese Showleute da oben auf der Bühne ja doch so unablässig treibt. Man kann etwas schön oder primitiv ausdrücken. Rockmusik (überhaupt Musik!) darf und kann ja primitiv sein. Aber halt nicht nur. Möglicherweise hat sie ja noch andere Ebenen. Sie in ihrer Vielschichtigkeit zu erfassen, kann (!!) Zeichen einer gewissen Reife sein, - ja, auch eines gewissen Niveaus und Wissens! Respekt und Dankbarkeit für das leibhaftige und mit großem Honorar abgegoltene Erscheinen der großen "Stars" sind da völlig fehl am Platz. Nur solche Konzerte zu besuchen, die einem „gefallen“, könnte genau das Falsche sein, denn so etwas erzeugt ja keinerlei Vergleichsmaßstäbe, würde ja nur die eigene Sicht der Dinge immer wieder bestätigt sehen wollen. Vergleichsmaßstäbe, - ja überhaupt Maßstäbe - eröffnen sich meist nur, wenn man sich auf das bisher Unbekannte und das über den gewohnten Erfahrungshorizont Hinausgehende einzulassen bereit ist. Seinen Horizont zu erweitern, kann auch nicht ganz falsch sein. Genau so könnte Kunst funktionieren, oder wenigstens so etwas wie Kunstbemühung, - im Unterschied zum Kunsthandwerk. Das Wiederkäuen von handwerklichen Fähigkeiten und Routinen kann ja nicht immer Selbstzweck sein, sondern dürfte gelegentlich auch Mittel zum Zweck sein. Bei Popkonzerten steht sie aber eindeutig im Vordergrund, die Fähigkeit, zusammen mit einem großen technischen Stab etwas zu reproduzieren, was künstlerisch längst im Studio vorgeprägt ist.

 Objektiv falsch? Jemand, der ein Meinung kundtut, gibt nie objektive Wahrheiten von sich! Es kann sich nur um mehr oder weniger qualifizierte Meinungen handeln. Aber nie um etwas Objektives.  

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