Was ich gerade höre:
In unserem Kopf kann neben dem ach so künstlerisch kunsthandwerklich Verrätselten durchaus auch das Triviale und sehr Simple wohnen. Womöglich sind wir so gestrickt und es führt unser Bewusstsein vieles ganz einfach ohne unseren Willen zusammen. Der 1951 geborene Gitarrist Bill Frisell hat sich dieser Nähe immer schon gewidmet. Einmal hat er als eine Art „Bob-Dylan-für-arme-Leute“ von einem seiner Cover gegrüßt und dabei das Country-Versprechen des Titels „Nashville“ mit den Tönen seiner CD gleich eingelöst. Auf seiner 1992 erschienenen CD „Have a little faith“ (nach einem Song von John Hiatt benannt und als Frisell-Interpretation auch auf dem Album) erweist er Dylan mit der Interpretation von „Just like a woman“ eine Referenz, nachdem er sich schon zuvor Madonnas „Live to tell“ vorgenommen hatte. Zudem ist unter anderem die Suite "Billy the Kid" nach Aaron Copeland und eine Komposition von Charles Ives auf dem Album Dann wieder hat er unter anderem mit dem Pedal Steel-Gitarristen Greg Leisz, dem Bassisten Viktor Krauss, dem Drummer Jim Keltner, dem Keyboarder Wayne Horvitz und auf einem Titel dem Slide Gitarristen Ry Cooder zusammen die Country-Musik auf ganz andere Weise in sein Spiel integriert, und sie dabei mit viel jazziger Liebe bedacht. Ein Stück heißt "Cadillac 1959". Auf vielen anderen Aufnahmen zeigt er eine eigenwillige Verbundenheit mit seinem Land, durch dessen Mythen, Traditionen und Träume er immer wieder Streifzüge unternimmt.
Zuletzt ist er noch einen Schritt weiter gegangen. Auf „Guitar in the Space Age“ nimmt er Themen der fünfziger und sechziger Jahre auf, er spielt mit ihnen instrumental, er bleibt eng dran, entfernt sich dann doch wieder und geht mit ihnen mehr um, als dass er grinsend das Spiel des Dekonstruktivismus spielen würde. Viel Humor gehört zu einer solchen Haltung, mit deren weitem Klangraum er an seine eigene Welt anschließt und gleichzeitig auf verborgene Linien anspielt. Er ist auf der Spur von den Spannungen, die viele bewegten und noch bewegen: das Populäre, der Pop, das Liebliche und Einschmeichelnde.
Und so streichelt er das Süßliche auf liebenswürdige Weise, spielt mit Erinnerungen an die 50er Jahre und ruft Bilder wach: Petticoats, Hoola-Hoops, Glaube an den ewigen Fortschritt und ein intakter amerikanischer Traum, an dessen Ende der Rock 'n Roll als die Überschreitung steht, die ein wenig über den Karneval hinausgeht.
Wir hören den Titel „Turn Turn Turn“, der zwar von Pete Seeger stammt, den alle Welt aber in der Version der Byrds kannte. Dabei waren diese glasigen Klänge der zwölfsaitigen Gitarre von Roger McGuinn womöglich nahe an dem Wunschbild des noch jungen Frisell, der einen großen Teil seiner Jugend in der Gegend um Denver verbracht hatte. Wer weiß?
Am Ende des Reigens, in den er noch zwei eigene Stücke eingeflochten hat, steht „Telstar“, das der Autor einem Fernsehsatelliten gewidmet hat. Es kommt ein Western-Idyll von endloser Weite auf, das hinaus in die Prärie oder hinab zum Strand führt. Die Parole „Young Men go west“ ist da noch nicht vergessen oder pervertiert. Rock Hudson ist noch die Hollywood-Figur und nicht sein alter Ego. Der Titel endet sogar mit einem richtigen Schluss, also keiner Ausblendung. Die Welt ist in Ordnung. Die Raumschiffe heißen „Gemini“ und später „Apollo“, Kennedy versprach dazu im Wettlauf der Blöcke früh die Eroberung des Weltraums. Also ab in den Weltraum! Mit Bill Frisell. Der Mensch kann alles, wenn er nur will. Ein amerikanischer Traum, vorgeführt von Bill Frisell mit seiner Band.
Bill, Frisell, Guitar in the Space Age, erschienen auf Okeh Records/Sony Music.
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