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Saka in my mind

Was ich mir gerade anhöre? Die einzelne Scheibe ist da nicht gar so wichtig. Ich habe womöglich zu viele davon. Wichtig ist die Klangwelt, in die ich eintauchen will: Ryuichi Sakamoto hat eine Zeit lang viele Platten gemacht, nachdem er mit dem Yellow Magic Orchestra von Japan aus in der ganzen Welt bekannt wurde. War er Japaner? Ja, er sah so aus, als könnte das so sein. Ansonsten spielte das keine große Rolle. Der Mann machte sehr kreativ rum, war von Hause aus Pianist, erforschte aber erst mit dem Synthesizer und dann im Zusammenspiel mit anderen Musikern Klanglandschaften – und zog dabei stets seine musikalischen Fäden ein, ohne dass das so recht jemand zu bemerken schien. Dann fiel er mir als ständiger Mitspieler bei David Sylvians Produktionen auf. Pianos langweilten mich eine Zeit lang, weil sie oft akademisch gekonnt klangen, darüber hinaus aber keine Ausstrahlung, keinen emotionalem Gehalt zu vermitteln scheinen. Bei Sakamoto war das anders. Man hörte ihm einigermaßen zu und wurde eingesponnen in seine Klanglandschaft, in der auch seltsame Soundzusammenballungen eine Rolle spielten. Aber das war schon in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Und da war auch der Talking-Héads-Rockschöngeist David Byrne, mit dem er den Soundtrack zum Film „Der letzte Kaiser“ aus dem Jahr 1987 aufnahm (die asiatisch anmutenden Titel stammen von Byrne, während die „europäisch-klassischen“ Stücke von Sakamoto sind). Für diesen Soundtrack erhielt Sakamoto 1988 gemeinsam mit Byrne „sogar „einen Oscar. Aber da war auch David Bowie, mit dem zusammen er 1983 in dem Film „Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence“ er auftrat und eine Rolle spielte.  Der Film spielt während des Zweiten Weltkriegs. In einem Lager stehen britische Kriegsgefangene im Konflikt mit ihren japanischen Aufsehern. Ich habe den Film damals und fand ihn klasse, lang bevor ich mich für Sakamotos Musik interessierte. Eine Zeitlang nahm er eine fast schon unübersichtliche Zahl von Alben auf, hatte mit Filmmusik großen Erfolg („Der letzte Kaiser“, 1987, „Himmel über der Wüste“, 1990, u.a.), ehe 2014 bei ihm Krebs diagnostiziert wurde. Nun brach er nicht mehr so sehr in Arbeitswut aus und schickte 2015 nur noch die mit Alva Noto gemeinsam geschriebene Filmmusik zu „The Revenant“ raus, ein Film, der zu Recht wohl zu einem riesigen kommerziellen Erfolg wurde und unter anderem Oscars mit Leonardo Di Caprio davon trug. Doch das ist mir alles egal wenn ich ihn höre. Ich habe heute morgen „Charm“ aus dem Jahr 2003/2004 gewählt, - allzu genau kann man das bei ihm sowieso nicht beziffern. Haha, der erste Titel „Undercooled“ ist stark HipHop-beeinflusst. Es ziehen sich aber fernöstliche beeinflusste Linien durch das Geschehen, der Kokon hat eine Farbe, sie schleicht sich ins Bewusstsein. Aber all das ist nur der Einstieg in lauter kreativ-abenteuerliche Unübersichtlichkeiten. Der nächste Titel „Coro“ bringt digital verfremdete Kratzgeräusche, Klangsplitter, die sich aber in unsere Gehörgänge wickeln. Wie das geht? Würde ich auch gerne wissen. Es geht. Industrial, angefixt. Dann „War & Peace“, das sich vergleichsweise gefällig um seine Akkorde dreht und dabei Fernöstliches aufblitzen lässt, Aufblitzen (!), nicht mehr. Weltmusik ist das nicht. Und so geht das weiter. Lauter merkwürdiges Zeugs (einschließlich gelegentlichem Electro-Groove), mit dem du aber sehr schnell Freund werden kannst. Ich habe ihn mal live gesehen und hatte immer den Eindruck, er improvisiere, habe nichts geplant, von Show konnte sowieso nicht die Rede sein, was zählte, war die Musik. Dies geht auch von seinen Scheiben aus, die alles andere als gefallsüchtig zu sein scheinen, aber viel Identität und Eigenheit ausstrahlen, ohne deswegen Avantgarde zu sein. Unangestrengt, das. Natürlich taucht auch auf „Chasm“ das Stück „World Citizen“ auf, dass er damals in tausend Variationen zusammen mit David Sylvian aufnahm. Im Geheimnis. Es hat eine Hauptmelodie, ein Motiv, das sich immer wieder durch meine Träume gezogen hat. Wieso wohl? Ich weiß es nicht. Es entwickelt seine eigenen Dynamiken, wie man sagen könnte. Auch seine eigenen Bezüglichkeiten. Es wandert in mich ein und durchzieht mich. Mich alten Sack, der so viel gehört hat? Jawohl! Ich staune ja selbst darüber. Sakamoto dozierte an der Universität, er verschenkte Musik zur Anti-Atomkraftbewegung in Japan, tat viel dafür. Aber all das wird unwichtig bei seiner Musik.

 

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